Ungezaehmte Nacht
Nicolai an. Aus irgendeinem Grund, den sie sich nicht erklären konnte, brach er ihr das Herz. Er sah so distanziert, so vollkommen allein aus. Einem Impuls folgend, legte sie beide Hände um sein narbiges Gesicht. »Ich sehe Euch an, mein Herr. Sagt mir, wonach ich suchen soll!« Ihr Blick nahm die markanten, wie aus Stein gemeißelten Züge in sich auf, die tiefen Narben und die brennende Eindringlichkeit seiner bernsteinfarbenen Augen.
»Sagt mir, was Ihr seht!«, befahl er ihr erneut mit misstrauischem Gesichtsausdruck.
»Ich sehe Euch, Don Nicolai DeMarco. Einen sehr geheimnisvollen Mann, den aber so manche Frau als gut aussehend bezeichnen würde.« Ihr Daumen glitt streichelnd über seine Wange und sein Kinn, als sie merkte, dass sie sich nicht von seinem glutvollen Blick abwenden konnte.
»Und Ihr? Gehört Ihr zu den Frauen, die Don Nicolai DeMarco als gut aussehend bezeichnen würden?«, fragte er sogar noch leiser als zuvor, sodass der Wind die Worte fast davonwehte, bevor sie sie verstand. Seine Hand glitt zu seiner Wange und legte sich genau über die Stelle, wo ihr Daumen ihn gestreichelt hatte, als wollte er ihre Berührung in der Wärme seiner Hand festhalten.
Ein langsames Lächeln erschien um Isabellas Mund, doch bevor sie antworten konnte, schlug ihr Pferd hinten aus, wodurch sie gezwungen war, die Zügel zu ergreifen.
Don DeMarco trat rasch von dem Tier weg und schlüpfte in den Schutz der Bäume. »Los jetzt, Rolando! Bring sie sicher heim!« Es war ein eindeutiger Befehl, der keinen Widerspruch erlaubte.
»Euer Umhang«, rief Isabella ihm verzweifelt nach, als der Hauptmann nach den Zügeln ihres Pferdes griff. Und schon kam das Tier in Bewegung, und Sergio und Rolando trieben es auf den Palazzo zu. Isabella kämpfte mit dem schweren Löwenfell um ihre Schultern, aber es gelang ihr, es abzunehmen, und sie warf es zu der Stelle zurück, an der sie den Don zuletzt gesehen hatte. »Nehmt Euren Umhang, Don DeMarco!«, rief sie flehend, weil sie Angst hatte um die einsame Gestalt, die in dem umherwirbelnden Schnee schon fast nicht mehr zu erkennen war.
In ihrer Verzweiflung und Furcht, ihn zu verlieren, wenn sie den Blick von ihm abwandte, drehte Isabella sich fast vollständig im Sattel um und überlegte sogar abzuspringen.
Doch sosehr sie ihre Augen auch anstrengte, seine Gestalt war in dem Schnee schon nicht mehr auszumachen. Sie erhielt nur einen flüchtigen Eindruck von etwas Großem, Kräftigem, das mit fließender Anmut über den Schnee dahinzufliegen schien. Dann sah sie, dass es Nicolai war, der sich bückte, um den Umhang aufzuheben, und sich langsam wieder aufrichtete, um sie davonreiten zu sehen. Seine Konturen verschwammen, wurden undeutlicher, als er den schweren Umhang anlegte und plötzlich das Aussehen eines ungezähmten Tieres annahm. Isabella merkte, dass sie in gelb glühende Augen starrte, die leuchteten vor Intelligenz und Ungestüm. Wilde Augen.
Für einen Moment blieb ihr fast das Herz stehen, und dann begann es, vor Unruhe zu rasen.
KAPITEL FÜNF
S arina schloss Isabella in die Arme, bevor sie sie schnell durch das Gewirr von Gängen und Treppen zu ihrem Zimmer führte. »Es tut mir so leid, bambina, dass Ihr solchen Ärger hattet! Nur gut, dass Hauptmann Bartolmei und Drannacia bei Euch waren.«
»Der Mann, der Sergio genannt wird?«, fragte Isabella, die bemüht war, sich alle Namen einzuprägen. Die beiden Männer waren sehr nett zu ihr gewesen, doch keiner hatte sich von ihren Bitten erweichen lassen, umzukehren und Nicolai zu helfen. »Sie haben ihn ganz allein dort draußen in dem Sturm zurückgelassen, ohne Pferd und ohne Hilfe für den Fall, dass die Löwen ihn angreifen. Er war ganz allein, Sarina! Wie konnten sie ihrem Herrn so etwas antun?«
Nass und durchgefroren von dem Sturm, noch immer aufgewühlt von dem Angriff des Löwen, aber vor allem aus Furcht um Nicolai DeMarco zitterte Isabella an allen Gliedern. »Sie hätten bleiben und ihn beschützen sollen. Es war ihre Pflicht, ihn zuerst und vor allen anderen zu beschützen. Ich verstehe nicht, was an diesem Ort hier vor sich geht. Wozu sind diese Männer gut, wenn sie nicht loyal sind? Ich wollte zu ihm zurückgehen, doch sie erlaubten es mir nicht.« Sie war wütend, mehr als wütend , weil die Männer sie daran gehindert hatten, bei Nicolai zu bleiben.
»Sie haben ihren Don beschützt«, erwiderte Sarina leise und bekreuzigte sich zweimal, während sie durch den weitläufigen Palazzo
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