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Ungezaehmte Nacht

Ungezaehmte Nacht

Titel: Ungezaehmte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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das Tier zerfraß den Mann. So wie es seinen Vater einst verschlungen hatte. Ein entsetzter Laut entrang sich seiner Kehle.
    »Nicht, Nicolai!«, bat Isabella ihn sanft. »Tu dir das nicht an!«
    Bei seinem Vater hatte es Jahre gedauert, bis er von den Leuten als Tier und nicht mehr als Mann gesehen worden war, doch sobald es so weit gewesen war, hatte es ihn schnell vernichtet. Und dann, seit jenem furchtbaren Tag auf dem Hof, als sein Vater seiner Mutter die Kehle durchgebissen und versucht hatte, ihn, Nicolai, ebenfalls zu töten, hatten die Leute fortan auch den Sohn ihres Dons als Tier gesehen.
    »Ich habe dich fast umgebracht«, sagte er mit leiser, rauer Stimme, weil er wusste, dass es stimmte. »Es wird geschehen, Isabella, wenn ich dich nicht fortschicke. Mir bleibt gar keine andere Wahl. Es ist zu deinem eigenen Schutz, und das weißt du auch.«
    »Ich weiß nur, dass die Löwen mich nicht den Pass durchqueren ließen, als du mich das erste Mal fortschicktest … und dass ich bei dir sein muss.« Isabella schlang die Arme um sich, um nicht zu zittern. »Es ist das Einzige, was ich mit Bestimmtheit weiß.« Sie blickte mit ihren großen, unschuldigen Augen zu ihm auf. »Du bist der Atem in meiner Lunge, Nicolai, die Wärme und Freude in meinem Herzen. Wohin du mich auch schicken würdest, ich würde verkümmern und sterben. Wenn nicht körperlich, so doch zumindest seelisch. Lieber grenzenlose, außerordentliche Freude – und wenn auch nur für kurze Zeit –, als langsam zugrunde zu gehen.«
    Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich, und seine Augen glühten von einer solch heftigen Gefühlsaufwallung, dass es ihr das Herz zu zerreißen schien, bis sie tatsächlich Schmerz verspürte. »Das Einzige, was ich mit Bestimmtheit weiß, Isabella, ist, dass ich es bin, der dich töten wird, wenn du bei mir bleibst.«
    Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft und schienen geradezu ein Eigenleben zu entwickeln. Isabella wurde von kalter Panik ergriffen, obwohl sie bis zum Hals in heißem Wasser lag. Sie hob das Kinn. »Dann sei es so«, sagte sie leise, weil ihr das Herz seinetwegen wehtat und sie ihn trösten und sich von ihm trösten lassen wollte, obwohl die Sicherheit ihres scheinbar unvermeidlichen Todes sie zutiefst beängstigte.
    Nicolai drehte sich auf dem Absatz um, stürmte aus dem Raum und ließ sie allein im Wasser sitzen, in der Dunkelheit und einem ihr unbekannten Raum. Von hier aus würde sie wahrscheinlich nicht einmal den Weg zu ihrem Zimmer finden. Isabella legte den Kopf an den gekachelten Rand des Beckens und weinte um sie beide.
    Sarina erschien jedoch wenig später und fand Isabella tränenüberströmt im Wasser vor. Zutiefst entsetzt darüber, dass die junge Frau ohne Begleitung mit Nicolai in die Nacht hinausgefahren war, mit nichts als ihrem Morgenrock bekleidet, schnalzte Sarina missbilligend mit der Zunge. Dennoch waren ihre Hände sanft, als sie Isabella nach Prellungen untersuchte, und sie schwieg und stellte keine einzige Frage, als sie die Einstichwunden an Isabellas Schultern behandelte.
    »Hast du dir Nicolais Verletzungen angesehen?«, fragte Isabella und ergriff die Hand der Wirtschafterin. »Er hat ein Rudel Wölfe vertrieben.« Das heiße Wasser hatte ihr die Kälte genommen, doch sie fröstelte trotzdem, sobald sie sich an ihre Panik auf der Flucht vor dem hungrigen Wolfsrudel erinnerte. Und an den Löwen, der sich später, als er die Wölfe vertrieben hatte, an sie herangepirscht hatte.
    »Er wollte sich nicht helfen lassen«, antwortete die Wirtschafterin mit gesenktem Kopf. »Es ist unangenehm für uns beide. Er zieht es vor, allein zu sein.« Sie trocknete Isabella ab und streifte ihr ein Nachthemd über den Kopf. Dann hielt sie ihr einen sauberen Morgenmantel hin.
    »Niemand zieht es vor, allein zu sein, Sarina. Ich gehe mit dir zu ihm, und gemeinsam werden wir nach seinen Wunden sehen. Sie müssen vielleicht genäht werden.« Isabella musste ihn heute Nacht noch einmal sehen. Wenn nicht, fürchtete sie um ihn und um sich selbst. Er brach ihr das Herz mit seinen traurigen Worten.
    Sarina begann, Isabellas Haar zu bürsten und zu entwirren. »Er ist sehr schlecht gelaunt. Ich wagte nicht einmal, ihm Vorhaltungen zu machen, weil er Euch mitten in der Nacht, bei diesem Wetter und nur mit Eurem Morgenrock bekleidet, ins Freie mitnahm und dann später im Raum blieb, als Ihr badetet.« Sie zögerte und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Ist er Euch zu nahegetreten,

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