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Ungezogen

Ungezogen

Titel: Ungezogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsay Gordon
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hätte viel darum gegeben, um eine Erklärung für sein peinliches Verhalten zu finden. Er spionierte mich aus und tauchte dann auf, wenn ich hierherkam. Er lehnte am Tresen, tratschte mit Matteo oder wer gerade da war und warf mir lüsterne Blicke zu. Es war so peinlich augenfällig, worüber sie tratschten. Matteo wurde mit Amaretto zu mir geschickt und musste immer wieder nach meiner Telefonnummer fragen. Ich habe sie ewig lange verweigert, weil ich Lucas einfach nicht attraktiv fand. Aber nachdem er es geschafft hatte, mich in einem Fünf-Sterne-Hotel an der Küste ins Bett zu bekommen und mich drei Mal zum Orgasmus brachte und meine anale Kirsche gegessen hatte, glaubte ich, verliebt zu sein. Aber es geschehen Dinge, Personen kommen und werden ersetzt, so war es und wird es auch immer sein. Lucas und ich trennten uns nach einer Reihe heißer politischer Diskussionen. Als sich herausstellte, dass er ein Verfechter von Tierversuchen für die Kosmetik war, sich in psychologischer Untersuchung befand und Hobbyjäger war, konnte er mich nicht mehr zum Orgasmus bringen. Nichts hat für immer Bestand. Und ganz gewiss nicht mein Liebesleben.
    Plötzlich tauchte der schwarze Regenschirm wippend über der Menge auf, kam immer näher, und eine kleine, eitle Stelle in meinem Inneren verstand, was geschah. Auch er hatte verstanden, denn als sich unsere Blicke ein zweites Mal kreuzten, lächelten wir uns erkennend an. Ein weiches, fast verlegenes Lächeln, das aber alles bestätigte.
    »Haben Sie Feuer für mich, Lady?«, fragte er mit einem hiesigen Akzent, wobei die trockene Zigarette zwischen seinen Lippen wippte.
    Ehrlich, es bedurfte keiner Worte. Er konnte mich bei der Hand nehmen und mich überall hinbringen, willig, wortlos. Da wir aber Fremde waren und very british, mussten wir erst ein Gespräch beginnen.
    »Aber sicher«, antwortete ich.
    Ich zündete ein Streichholz an, schützte es mit meiner Handfläche und hielt es gegen sein Gesicht. Ich entdeckte eine gewisse Würde im Bogen seiner Brauen und seiner langen, geraden Nase. Seine Augen waren zwei Striche durchdringender Gerissenheit.
    »Wie ist Ihr Name?«
    »Syed. Und Ihrer?«
    »Claire.«
    »Ich habe Sie hier schon öfter gesehen«, sagte er. »Hier an dem Fenster. Warum sind Sie immer allein?«
    Ich roch, dass er Whisky getrunken hatte. Eines meiner Lieblingsaromen. Der Whiskyatem eines Mannes.
    »Ich bevorzuge meine eigene Begleitung. Ich mag keine Ablenkungen.«
    »Ablenkungen? Wovon?«
    »Von meiner Sicht natürlich. Von meiner Sicht auf die Welt.«
    »Ich verstehe«, sagte er und nickte.
    Er blies Zigarettenrauch nach oben und zeigte mir seinen Hals und seinen Adamsapfel und die Unterseite seines Kiefers, auf dem sich so gut wie keine Bartstoppeln abzeichneten. Ich bemerkte, dass er eine mitternachtsblaue Seidenkrawatte trug mit einem weiß-gelb-roten Druck von Paris bei Nacht. Zweifellos ein altes Stück.
    »Ich störe Sie sicher. Es wäre Ihnen bestimmt lieber, ich würde mich wieder unter die Passanten mischen, oder?«
    »Sie müssen noch nicht gehen und brauchen sich auch nicht für Ihre Anwesenheit zu entschuldigen.«
    Er schien das als Erlaubnis zum Näherkommen zu betrachten und noch mehr Whiskygeruch zu verströmen, als er in meine Augen sah. Ich ertappte mich, dass ich mir nichts mehr wünschte, als sein Whiskyaroma auf meinen Lippen zu spüren.
    »Sie sind ganz sicher, dass ich Sie nicht störe?«, fragte er.
    »Nun, vielleicht sollten Sie sich zurückziehen«, sagte ich und lächelte ihn an. »Und ich komme gleich mit.«
    Er war zu cool, zu selbstbewusst, als sich über meine Dreistigkeit zu wundern.
    »Dann wollen wir uns zurückziehen.« Er bot mir seinen Ellbogen an.
    Ich glitt aus dem Schutz der Markise unter den Schirm, hakte mich bei ihm unter und fuhr mit den Fingern über die Schwellung seines Bizepses. Seine plötzliche Nähe machte mich ein wenig schwindelig. Wir gingen über den Bürgersteig davon.
    »Ihr Name ist Claire? Das deckt sich mit dem, was ich mir in meiner Fantasie über Sie zurechtgelegt habe.«
    »Sehe ich wie eine Claire aus?«
    »Ja, unbedingt.«
    »Und wie haben Sie sich mich vorgestellt? Ich bin sehr gespannt.«
    »Oh, ich habe mir eine sorgfältige Hintergrundgeschichte ausgedacht«, erwiderte er lachend.
    »Die müssen Sie mir erzählen.«
    »Sie wären beleidigt.«
    »Das bezweifle ich. Ich bin sehr tolerant«, versicherte ich.
    »Ja, das habe ich von Ihnen nicht anders erwartet.« Seine Antwort war keineswegs

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