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Ungezogen

Ungezogen

Titel: Ungezogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsay Gordon
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Diese Art Filzhüte tragen heutzutage selbst Teenager. Aber ein richtiger, breitkrempiger Humphrey-Bogart-Fedora, mittelgrau, ohne Flecken und mit einem elfenbeinfarbenen Band ...
    Dann sah ich, dass der Mann einen schwarzen Regenschirm in der Hand hatte, und auch das war ungewöhnlich. Britische Männer tragen im Allgemeinen keine Regenschirme, weil sie es unmännlich finden, schlechtem Wetter damit zu trotzen. Erst wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen, geht ihnen Annehmlichkeit vor. Aber dieser Mann war nicht alt. Das konnte ich an seinem flotten, federnden Schritt erkennen. Er kam an meinem Fenster vorbei, und kurz bevor er sich aus meinem Blickfeld entfernte, drehte er den Kopf zu mir. Ich erkannte, dass er ein Asiat war, jung, höchstens fünfundzwanzig, sechsundzwanzig Jahre alt. Eine kräftige Erscheinung mit einem breiten Kinn, gerader Nase und engstehenden Augen. Sein großzügiger Mund war halb geöffnet, als ob er durch die Zähne atmete. Er hatte eine volle Unterlippe. Im Licht des Café-Fensters hatte seine Haut einen appetitlich warmen Ton. Die Farbe erinnerte mich an Dulche de Leche aus Argentinien. Letztes Jahr zu Weihnachten habe ich die dicke, buttrige Karamellsauce erstmals bei meiner Freundin Cassandra genossen. Sie bot mir ein Glas an und wusste, dass ich vor Genuss sterben würde und mich jedes Löffelchen einem oralen Orgasmus näherbrachte, soweit das überhaupt möglich ist.
    Der Mann vor dem Fenster trug einen großartigen schwarzgrauen Anzug, einreihig und mit einer Fülle von Informationen über den Körper darunter. Schlank und rassig, feingliedrig, gut proportionierte Größe, nicht so spindeldürr wie einige junge Männer, die noch nicht voll entwickelt sind. Mit seinem aufgeworfenen Mund und den halbgeschlossenen Augen sah er fast ein wenig dekadent aus oder tief in Gedanken versunken. Unsere Blicke trafen sich. Ich hatte fast den Eindruck, ihn erschreckt zu haben. Dann klärte sich sein Blick, und er schien mich anzulächeln. Und dann war er verschwunden. All das geschah innerhalb weniger Sekunden.
    Ich bete Männer mit Fedora-Hüten an. Aber dieser Mann war etwas ganz anderes. Ein junger, in Gedanken versunkener, unglaublich sexy Asiat mit sinnigen Lippen und einem exquisiten Geschmack. Mein erster Gedanke war, aufzuspringen und ihm nachzujagen. Aber mein gesunder Menschenverstand hielt mich davon ab. Ich fragte mich, ob er ein Vierziger-Jahre-Fan wie ich war oder ob der Hut Teil einer Art Uniform war oder irgendeiner Tracht. Oder hatte ich etwas verpasst, und Fedoras waren - längst überfällig - wieder in Mode gekommen?
    Ich frage mich, was er wohl gedacht hatte, als er mich ansah. Hatte er meinen Stil, meine Haare, meine Brüste gesehen. Oder hatte er nur eine üppige Frau ganz in Schwarz gesehen? Über Geschmack lässt sich nicht streiten, aber es lässt sich nicht verleugnen, dass sich - insbesondere jüngere Männer - von einsamen Frauen angezogen fühlen.
    Mir wurde die Sinnlosigkeit meiner Erregung klar, denn der Mann war längst verschwunden, und welchen Eindruck ich auch immer hinterlassen hatte, sie war zu oberflächlich gewesen, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Es wurde Zeit, nach Hause zu gehen und von Dulce de Leche zu träumen. Aber es regnete immer noch heftig, und ich hatte keine Lust, nass zu werden. Trotzdem, ich hatte einen unbändigen Drang, nach draußen auf die Straße zu kommen.
    Eine Zigarette wäre die Lösung. Ich würde auf der Treppe des Cafés unter der Markise stehen, eine Zigarette rauchen und abwarten, bis der Regen aufhörte. Und vielleicht konnte ich von ihm noch einen Schatten am Ende der Straße sehen - wenn ich schnell genug war.
    Ich raffte meine Sachen zusammen, zog Mantel und Handschuhe an und hinterließ eine Zwei-Pfund-Münze für Matteo. Als ich die Tür öffnete, stürmten zwei Mädchen in Jeansshorts und blickdichten Strumpfhosen herein und besetzten meinen Tisch.
    Die Luft draußen vibrierte von Stimmen und dem Pulsieren naher Tanzmusik. Der Regen schien nachzulassen. Ich öffnete meine gehämmerte, blecherne Zigarettendose, blickte die Straße hinunter und sah eine Menge Partyvolk, einige modische Käppchen und Baseballkappen, einen pinkfarbenen Cowboyhut, aber keinen Fedora.
    Wenn man dieses Spiel spielt und mit der ganzen Welt anbändelt, führt das zwangsläufig zu engeren Kontakten, zu Gesprächen, Berührungen und letztendlich ins Bett. Mein letzter Freund, Lucas, war ein dreister Glotzer. Seine Mutter war eine Französin und

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