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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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bereit, ihre Familie zu verlassen, meinetwegen? Mit einem Mal mir die Verantwortung aufzubürden für ihr Glück und, viel entsetzlicher, für ihren Kummer?
    Unmöglich. Nicht vorstellbar. Abgelehnt. Mit meinem Vorschlag, hier zwischendurch an der Reling, hatte ich ihr lediglich ein paar Worte über ihre Ehe entlocken wollen, keine Konsequenzen, keine Taten. Ich war nur Minnesänger und wollte nichts anderes sein, ein Troubadour, der unter einem Söller sang und der Frau Artigkeiten erwies, solange ihr Mann auf Gralssuche war.
    »Ausziehen wäre ein großer Schritt?«, wiederholte ich brüchig.
    Um uns herum schnatterten Urlauber und Tagesausflügler, fotografierten die Türme der Stadtsilhouette im Osten und die sandigen Inseln im Westen und stellten Mutmaßungen an über die Schlepper und Lotsenboote bei den Containerschiffen, deren herüberschwappende Wellen die Fähre zum Schaukeln brachten. Es war Zeit für Bier und Witze über Schiffsuntergänge.
    »Weil ich nicht weiß, wie lange du mich noch lieben wirst«, erklärte sie, kaum vernehmbar und ohne mich anzusehen. Sie wollte mich schonen, sich selbst auch.
    »Aber wie kannst du daran zweifeln!«, warf ich ihr vor, eindringlich, doch so gedämpft, dass niemand aufmerksam wurde. Wie lange ich sie noch lieben würde? Ich wusste nicht einmal, ob ich sie überhaupt jemals geliebt hatte und was mit dem Wort gemeint war, an das man beizeiten geschmiedet zu werden schien.
    »Vielleicht hast du eines Tages genug von mir«, murmelte sie.
    Was blieb mir, als es auf der Stelle abzustreiten? »Natürlich werde ich dich immer lieben!« Das war nun doch zu laut. Ein ondulierter Frauenkopf, der über die Reling ins wirbelnde Schraubenwasser gestarrt hatte, wandte sich in unsere Richtung. Ich lächelte entschuldigend. Weil meine Formel noch eines Beweises bedurfte, schwor ich: »Du hast mich entjungfert!«
    Tatsächlich war sie überrascht und gerührt. Sie drückte mich an sich. »Nichts muss jetzt entschieden werden.«
    Der kleine Hafen von Cranz war erreicht, überragt von den Aufbauten eines Sperrwerks, das die Obstplantagen vor Sturmfluten schützte. Vor dem Reparaturdock einer kleinen Werft lag eine Schute mit Baggergeschirr, auf der Mole daneben Berge von rostigen Ketten, Winden, Ankerteilen. Flussabwärts dehnte sich das Deichvorland mit einem Schilfgürtel, der am Horizont mit den weidenbestandenen Inseln verschmolz. Es war eine Landschaft für kindliche Abenteuer mit selbstgebauten Flößen, ein Abglanz des Mississippi.
    Rüttelnd und bebend robbte sich das Schiff rückwärts an den Kai. Hinter den Pollern drängte sich eine bedrohliche Menge sommerlicher Touristen samt Kindern, Hunden und Fahrrädern. Es waren erschöpfte Rückkehrer, diein den Fährhäusern und Deichcafés Mittag gegessen hatten und nun einen freien Sitz oder wenigstens einen Platz an der Reling erobern wollten. Widerstrebend bequemten sie sich, den Aussteigenden Platz zu machen. Gepufft und geschoben, kletterten die Ankömmlinge über die schmale Brücke und mühten sich durch das Spalier der Ausflügler und deren Wolken aus Schweiß und Sonnenöl.
    »Dietmar!«, rief eine vertraute, hier völlig unangebrachte Stimme. Dann eine zweite, ebenso fehl am Platz: »Dietmar!«
    »Das darf doch nicht wahr sein.« Erschrocken ließ ich Hannahs Hand los. »Meine Eltern.«
    Ich hätte die beiden lieber als jemand anders ausgegeben. Peinlicherweise waren sie in Bermudashorts unterwegs. Ihre rosige Laune hatte etwas Volkstümliches, als kämen sie angeheitert vom Schunkeln. Mein Vater trug ein kurzärmeliges Hemd vom Discounter. Der Bauchansatz drückte über den eng geschnürten Gürtel. Durch die beigefarbene Bluse meiner Mutter schimmerte der Büstenhalter. Sie trugen weiße Sonnenkappen mit grünem Schirm, unter denen ihre Blicke allmählich erfassten, dass ich in Begleitung war.
    »Wir haben bei Rieckmann gegessen«, erzählte mein Vater und sah dabei nur mich an. »War prima, ganz, ganz prima.« Rieckmann, richtig, so hieß der alte Gasthof, in dessen Kastaniengarten ich in mythischen Kindheitssommern Eis aus beschlagenen Silberbechern gelöffelt hatte.
    »Die geben sich immer sehr viel Mühe«, ergänzte meine Mutter, während sie der unbekannten Frau an meiner Seite zulächelte, die nicht wesentlich jünger war als sie selbst.
    »Aber es ist voll«, fuhr mein Vater fort. »Darauf müsst ihr euch gefasst machen.«
    »Voll ist es überall«, steuerte meine Mutter bei.
    »Meine Eltern«, stellte ich vor.
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