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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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Stattdessen führte ich existenzielle Zweifel an, Bedenken hinsichtlich des Weges, der ja bereits das Ziel sein sollte. Ein Zwiespalt habe sich in der Versenkung des Zazens aufgetan und die geforderte Entschiedenheit ins Wanken gebracht. Nicht endgültig. Ich wolle lediglich unterbrechen.
    Er schüttelte wehmütig den Kopf. »They never come back.«
    In meinem Fall stimmte das. Doch grundsätzlich nicht. Viele kehren zurück oder sehnen sich danach. Paramahansa Yogananda erzählte von einem Jünger, der ihm gebeichtet hatte: »Ich meditiere jetzt mit einer frommen Frau. Um ihr zu helfen.«
    Der Meister verfügte über Erfahrung mit dergleichenHilfe. »Sadhu, Sadhu«, sprach er, »nimm dich in Acht.« Kurz darauf brannte der Jünger mit der Frau durch. Ein halbes Jahr später kehrte er in den Ashram zurück, selbstredend reuevoll. Er wurde wieder aufgenommen, verdoppelte seine Bemühungen und, so versichert Yogananda, erlangte den höchsten Zustand der Selbstverwirklichung.
    Von Unterhaltszahlungen ist in der Story nicht die Rede. In vergleichbaren katholischen Fällen werden sie vom Kloster übernommen, übrigens ein verbreiteter Grund zum Eintreten.
    Nonnen, die wegen eines weltlichen Partners das Zölibat verlassen, werden glücklicher als Männer, die ein Gleiches tun. Das erzählte mir im Vaucluse die Äbtissin der Zisterzienserinnen von Notre-Dame de Bon-Secours. Sie hatte auch eine Erklärung: »Frauen sind weniger für die Einsamkeit geeignet.«
    Männer hingegen, die jung das mönchische Leben verlassen, behalten ihr Leben lang eine wehmütige Erinnerung. Bisweilen suchen sie wieder Zuflucht. Entweder weil mit dem Versiegen des Testosterons der Bedarf an Erlösung wächst – oder weil das Leben mit Frau zu anstrengend wird. In jedem Fall nehmen die Rückkehrer einen wohlklingenden Ausdruck für sich in Anspruch: Sie seien gereift.
    »Nichts zieht den Geist eines Mannes so machtvoll zur Erde wie das Streicheln einer Frau«, erläuterte der zum Mönch konvertierte Augustinus in Erinnerung an die Frauen seiner Jugend. Zur Erde. Down to earth . Nur scheinbar sind der Mönch und die sinnliche Frau eine seltene Erscheinung unter den ungleichen Paaren. Als der Grübler und die Weltläufige, als Computer-Eremit und Realistin,als Theoretiker und Pragmatikerin kehren sie immer wieder.
     
    Und jetzt also die ältere Frau und der junge Mann. Ich traute mich nicht, Hannah als meine Gefährtin vorzustellen. Der Prinz, der die Dornenhecke überwand, hatte es leichter. Dornröschen war hundert Jahre älter als er, doch sie hatte sich im künstlichen Tiefschlaf erholt und sah nach Auskunft glaubwürdiger Forscher frisch und ausgeruht aus.
    Hannah hatte einige Wochen auf einer ayurvedischen Schönheitsfarm zugebracht. Man konnte ihren Zügen die zwanzig Jahre nicht ablesen, die sie älter war als ich. Sie bewegte sich leicht und geschmeidig. Sie tauschte zuweilen Kleider mit ihrer Tochter. Doch dass sie einer anderen Generation angehörte, war nicht zu übersehen.
    »Vor ein paar hundert Jahren wäre ich als Hexe angeklagt worden«, meinte sie einmal. Mir kam der Spruch eitel vor. Zu jener Zeit wollten alle Frauen in früheren Inkarnationen als Hexen verbrannt worden sein. Aber dass sie in einer strengeren Epoche angeklagt worden wäre, mochte zutreffen – falls jemand sie angezeigt hätte, meine Eltern, meine Schwester oder ich selbst.
    Die Frau, die von Schwester Gretel als Hexe verunglimpft und dann sogar verbrannt wurde, war weder so alt noch so hässlich, wie sie von den Illustratoren dargestellt wird. Im Text heißt es, ihr Unterschlupf prangte voll verlockender Süßigkeiten. Sie habe zum Knabbern eingeladen. Und mit Gretels Bruder pflegte sie einen Verkehr, der durch das Tasten nach der Dicke des Fingers sittsam umschrieben wird. Die Affäre fand im romantischenFerienhaus statt, den Zeugen entrückt. Doch das half nichts. Hänsel und sie waren ein ungleiches Paar, und um Hänsels Familie willen und der bürgerlichen Ordnung halber wurde sie angeklagt, verurteilt und verbrannt.
    Diese Frau, die später zur Rechtfertigung des Urteils mit Buckel und Hakennase versehen wurde, wird kaum älter als vierzig gewesen sein. Und Hänsel? Vielleicht sechzehn. Kinder waren damals früh erwachsen. Hätte es die liebende Frau gerettet, wenn sie den Eltern beizeiten ihre Aufwartung gemacht hätte? Und da die Eltern arm waren, am besten unter Angabe ihres Vermögens?
    »Continuez!« , rief der fromme Herzog Ernst, wenn er erholt zur
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