Unglückskeks - Angermüllers achter Fall
hängenden Schultern vor ihr stand und sie so seltsam anschaute.
»Möchtest du einen Tee? Ich habe grade frischen gekocht.«
Er schüttelte den Kopf. Plötzlich machte er einen Schritt auf sie zu und fiel ihr um den Hals. Marlene stand da und rührte sich nicht. Sie wusste gar nicht, wie ihr geschah. Für ein paar Sekunden blieben sie so stehen. Als er sich wieder aufrichtete, schienen in seinen Augenwinkeln ein paar Tränen zu glitzern.
»Wollen wir uns setzen?«, fragte er mit rauer Stimme, »ich habe dir eine Menge zu erklären.«
Marlene, deren Ungeduld mittlerweile ins Unermessliche gewachsen war, wies stumm auf die Stühle am Küchentisch, von wo Sophie gespannt zu ihnen herüberspähte.
»Wo fang ich an?«
Mirko rückte seinen Stuhl zurecht und starrte in die Teetasse, die Marlene ihm trotz seiner Ablehnung eingegossen hatte, einfach um sich irgendwie beschäftigen.
»Am Anfang vielleicht?«, schlug sie ihm ein wenig ungehalten vor und setzte sich ihm gegenüber.
»Gut. Also, das ist jetzt ungefähr 16 Jahre her, da waren Alex, Sven und ich sehr viel zusammen. Wally war manchmal auch dabei, gehörte aber eigentlich nie so richtig dazu. Wir haben zusammen gefeiert, sind zu Musikfestivals und Konzerten gefahren, waren auch mal zusammen im Urlaub, was man eben so macht. Wir waren jung, ungebunden, hatten keine echte Verantwortung und träumten vom groÃen Geld. Und dann hatte Alex diese Idee mit den Immobilien. Wir hielten das sofort für genial. Ich auch. Wally nicht. Der wollte damals nichts mehr mit uns zu tun haben.«
Marlene hörte mit wachsendem Erstaunen über das lukrative Geschäft mit minderwertigen Wohnungen, das ihre Schulfreunde im Rheinland in groÃem Stil aufgezogen hatten: über Alex, damals Student in Düsseldorf, der die Objekte auftat, Sven, der seinen Job als Banker idealerweise für die Finanzierungen nutzen konnte, und Mirko, der für das Praktische zuständig war, die Büro-Organisation und die oberflächliche Aufhübschung der ziemlich heruntergekommenen Gebäude. Und alle drei traten als Vermittler auf, schwatzten mit Charme und Kaltschnäuzigkeit den Leuten ihre wertlosen Buden als zukunftssichere Geldanlagen auf. Sie bearbeiteten Kunden bevorzugt in Niedersachsen. Weit genug weg von Bad Schwartau, wo viele Leute sie kannten, und weit genug weg von der Gegend, wo die Wohnanlagen standen, damit die Käufer sie gar nicht erst besichtigen wollten.
»Wir waren erfolgreich, es machte SpaÃ, und mein Kontostand wuchs ständig. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, da die meisten Anleger eh nur hinter Steuervorteilen her waren und wir ihre Gier bedienten. So dachte ich wenigstens. Fast zwei Jahre ging alles glatt. Dann häuften sich aber die Fälle, bei denen sich Leute praktisch ruiniert hatten. Und das waren alles keine GroÃverdiener, wie ich dann allmählich mitbekommen habe.«
»Ist ja schön, dass du diese Lebensbeichte bei mir ablegst. Hätte ich dir nie zugetraut, dass du bei solchen fiesen Betrügereien mit Schrottimmobilien mitmachst. Aber ich versteh nicht, was das alles mit mir und Sophie zu tun hat«, sagte Marlene ärgerlich, »jetzt komm mal auf den Punkt, Mirko.«
»Du musst diese Vorgeschichte kennen, um alles zu verstehen, aber gut, ich kürze ab. Ich bin dann jedenfalls ausgestiegen. Zum einen, weil ich Skrupel bekam, zum anderen ⦠na ja, ich habe geheiratet, ich bin Vater geworden. Dadurch hat sich vieles für mich geändert. Schon damals habe ich wirklich bereut, bei dieser Abzocke mitgemacht zu haben. Und ich habe Alex und Sven gemieden. Sven ist dann ja sowieso für die Bank nach Shanghai gegangen, und als Alex die Praxis seines Vaters übernahm, bin ich sein Patient geblieben, mehr nicht.«
»Du meidest Alex, aber du lädst ihn zu euren privaten Festen ein. Toll«, merkte Marlene ungnädig an. »Versteh ich nicht ganz.«
»Ich hatte ihn zu Susanns Geburtstag nicht eingeladen. Er hat sich selbst eingeladen. Wegen dir.«
»Wegen mir? Das wird ja immer schöner!«
»Bitte Marlene, mach es mir nicht so schwer. Ich will dir ja alles erklären. Das Schlimmste kommt ja erst noch«, bat Mirko mit unglücklichem Gesicht. Sophie saà hoch konzentriert daneben, und Marlene fragte sich, ob ihre Freundin Mirkos Erzählung in allen Details folgen konnte.
»Okay, erzähl weiter.«
Mit
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