Ungnade: Thriller (German Edition)
sich dem Tor näherten, holte Purcell eine kleine Fernbedienung aus der Türinnentasche seines Wagens und drückte einen der beiden Knöpfe. Während die zwei Torhälften langsam aufglitten, wartete er, bis die gesamte Einfahrt frei war.
Rebecca schaute sich noch einmal um. Der Wagen hinter ihnen hatte gehalten und seine Scheinwerfer ausgeschaltet. Im Regen und Halbdunkel des Unwetters war er kaum noch zu erkennen.
Als sie das Tor durchquert hatten, hielt Purcell sich die Fernbedienung über die Schulter und betätigte den zweiten Knopf. Die Flügel schlossen sich wieder, und das Schloss rastete mit einem metallischen Geräusch ein.
Vor dem Haus wendete er den Wagen, sodass Rebeccas Tür dem Haus näher war. Immerhin war er ein Gentleman, dachte sie, wollte, dass sie möglichst trocken ins Haus gelangte. Sie löste ihren Sicherheitsgurt und wartete, dass er ausstieg.
» Um Ihre Frage zu beantworten«, sagte er, » ja, ich genieße das hier tatsächlich. Und ich werde es noch mehr genießen, sobald es hart auf hart geht.« Als er merkte, dass sie zu einer Erwiderung ansetzte, hob er die Hand. » Ich weiß, dass Ihnen mein Benehmen ein wenig sonderbar vorkommen muss, aber das geht den meisten Leuten so. Jeder von uns hat seine eigene Persönlichkeit, Sie sollten nicht vorschnell über mich urteilen.«
In dem unbeleuchteten Innenraum des Wagens sah Rebecca ihm in die Augen.
» Der Grund, weshalb ich es in der Armee so weit gebracht habe, war, dass mir das Töten nichts ausgemacht hat«, fuhr er fort. » Weder schäme ich mich dafür, noch bin ich stolz darauf. So war es eben, und so bin ich. Wer von uns ist schon ohne Fehler?« Seine Augen blickten gleichgültig und ausdruckslos.
» Ich schätze, dass die Männer in dem Wagen dort ähnlich denken.«
Er schaute kurz über die Schulter. » Nein«, sagte er schließlich. » Zumindest nicht alle. Sonst wären wir uns nie begegnet, denn Sie wären längst tot.«
» Und warum tun sie dann so etwas?«
» Für Geld.«
» Und was nutzt uns diese Erkenntnis?«
» Sie verhilft uns zu einem Vorteil. Ich werde nicht den Bruchteil einer Sekunde zögern, und das kann schon reichen. Wenn der Killerinstinkt fehlt, werden Leute wie ich immer siegen.«
» Auch wenn sie unbewaffnet sind?«
» Das werden wir dann ja sehen.« Er öffnete die Fahrertür.
» Sie kennen solche Situationen von früher, oder?«
Wieder zwinkerte er ihr zu, die Macke eines Geistesgestörten. Aber diesmal wirkte die Geste seltsam beruhigend.
Logan hielt sein BlackBerry in die Höhe, um endlich ein Netz zu finden, als das Display plötzlich hell aufleuchtete und das Mobiltelefon in seiner Hand zu vibrieren begann.
Da er die Nummer nicht kannte, ließ er Hardy einen Blick darauf werfen, der nickte. Als Logan Rebeccas Stimme hörte, spürte er einen Kloß im Hals.
Ich ertrage das Gefühl nicht, alles schon einmal erlebt zu haben.
» Ich bin’s, Logan«, sagte sie. » Ich bin bei Purcell. Die anderen warten draußen vor dem Haus.«
Seine Angst sprach auch aus ihrer Stimme.
» Wir sind schon auf Mull«, sagte er. » Wir kommen, so schnell es geht.«
» Sie werden uns angreifen, bevor ihr hier seid. Ich weiß es.«
» Wir sind gleich da. Es wird alles gut.«
Selbst in seinen Ohren hörten sich seine Worte keineswegs überzeugend an. Er hasste es, Rebecca nicht besser trösten zu können.
» Purcell will Tom sprechen«, sagte sie.
Logan gab Hardy das Telefon.
» Roger?«, sagte Hardy. » Was wirst du tun?«
» Kann ich noch nicht sagen, Tommy. Das entscheide ich, wenn ich weiß, wie sie sich verhalten.«
» Und was sollen wir machen, wenn wir bei euch ankommen?«
Purcell lachte spöttisch. » Ihr tut, was sich ergibt. Tretet die Tür ein, schießt auf alles, was sich bewegt. Und während sich der Pulverdampf legt, betet ihr, dass ihr keinen von uns erwischt habt.«
12
Hudson fuhr langsam und mit ausgeschalteten Scheinwerfern über den Hügel und hielt eine Wagenlänge vor dem Gittertor. Durch den Schleier des vom schwarzgrauen Himmel herabprasselnden Regens starrte er es an.
» Mit dem Wagen kommen wir da nicht durch«, kommentierte Nummer zwei vom Beifahrersitz aus.
» Das weiß ich selbst.«
» Was machen wir also?«
Hudson ignorierte die Frage, gab wieder Gas und fuhr die Straße weiter über den nächsten Anstieg, bis sie außer Sichtweite des Hauses waren. Von hier aus konnte man von dem Gebäude nur noch das graue Schieferdach über dem dichten Gras der Weide erkennen.
» Wir
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