Ungnade: Thriller (German Edition)
Cahill verstand.
» Sagt Ihnen das etwas?«, fragte der Anwalt.
» Das sagt mir alles«, antwortete Cahill.
Er wartete gefasst in seiner Zelle, bis kurz nach halb zehn sein Name aufgerufen wurde, dann folgte er den beiden Sicherheitsleuten eine Treppe hinauf zu den Gerichtssälen. Nachdem er Logans Nachricht erhalten hatte, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren.
Die geringe Größe des Verhandlungssaals überraschte ihn. Er hatte eine hohe, gewölbte Decke erwartet, aber dies hier wirkte wie ein Besprechungszimmer in einem x-beliebigen Betonbau aus den Sechzigern. Nur die abgeteilten Sitzreihen für die Geschworenen und der erhöhte Richtertisch unter dem Wappen an der Wand ließen den Raum als Gerichtssaal erkennen.
Shaw hatte ihn bereits darüber informiert, dass seine Vorführung unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würde. Weder Zuschauer noch Reporter würden im Saal anwesend sein, so wie es bei solchen Terminen Usus war. Sein Anwalt hatte auch gesagt, dass die Hauptverhandlung gegen ihn spätestens zwölf Monate nach dem heutigen Termin stattzufinden habe, aber das waren für Cahill im Augenblick nur formaljuristische Dinge.
Er nahm zwischen seinen beiden Bewachern auf der Holzbank vor dem Richtertisch Platz. Neben Shaw saß ein älterer Mann in Richterrobe und mit Perücke, sein Kronanwalt. Das Gesicht des Mannes zierte ein eindrucksvoller grauer Bart, der an den Mundwinkeln braune Tabakflecken aufwies. Cahill tippte auf einen passionierten Pfeifenraucher, dass sein Kronanwalt in Wirklichkeit Kettenraucher selbstgedrehter Zigaretten war, konnte er nicht ahnen.
In der hinteren rechten Ecke des Raumes öffnete sich eine Tür, und ein Gerichtsdiener trat ein, gefolgt von dem Richter, der wie der Kronanwalt gekleidet war.
» Hohes Gericht!«, rief der Gerichtsdiener, und alle Anwesenden erhoben sich. Dann setzte sich der Richter, und die drei Anwälte im Saal– zwei auf Cahills Seite sowie die Vertreterin der Anklage– taten es ihm mit einer Verbeugung nach.
Der Gerichtsdiener ordnete vor dem Richtertisch einige Papiere und verlas dann den Grund der Verhandlung. Anschließend erhob er sich und reichte dem Richter, einem kleinen, dicklichen Mann, der während der gesamten Prozedur einen gelangweilten Eindruck machte, die Papiere, woraufhin dieser sie über den Rand seiner Brille hinweg überflog.
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, eine überraschend jung aussehende Frau mit kurzen blonden Haaren und bedenklich hohen Absätzen, stand ebenfalls auf, um die diversen Anklagepunkte zu verlesen. Es war eine lange Liste, die wesentlich stärker ins Detail ging als das, womit Cahill von den Polizeibeamten im Revier bei seiner Festnahme konfrontiert worden war. Als die Frau ihren Vortrag beendet hatte, warf der Richter dem Kronanwalt einen Blick zu. Auch dieser erhob sich nun und ergriff die Aufschläge seiner Robe.
» Ich erscheine hier mit dem Beschuldigten, Hohes Gericht«, sagte er. » Er erhebt keine Einrede und wird sich zu den Vorwürfen nicht äußern.«
» In Ordnung«, sagte der Richter. » Er verbleibt also in Gewahrsam. Eine Kaution kann nicht gestellt werden.«
Das Sicherheitspersonal gab Cahill ein Zeichen, sich zu erheben, um ihn wieder die Treppe hinunter zu den Zellen zu führen.
» Eigentlich hatte ich ein bisschen mehr erwartet«, sagte er auf dem Weg nach unten zu einem von ihnen, wurde allerdings keiner Antwort gewürdigt.
Sie schlossen ihn in seine Zelle, in der er, wie er wusste, nun warten musste, bis auch sämtliche übrigen Festgenommenen vorgeführt worden waren.
Bis jetzt, dachte er, war nicht gerade viel Aufheben um ihn gemacht worden, wenn man bedachte, dass das hier zur Folge haben konnte, dass er den größten Teil seines restlichen Lebens hinter Gittern verbringen musste.
10
Purcell machte sich mit Heißhunger über sein Frühstück her, Rebecca aß nur ein paar Gabeln mit Rührei, ehe sie den Teller beiseiteschob und sich mit einem gebutterten Toast zum Tee zufriedengab. Sie ließ die Straße keinen Augenblick aus den Augen. Sie war überzeugt davon, dass ihre Verfolger jeden Moment das Café stürmen und sie und Purcell in einem Kugelhagel sterben würden.
Doch niemand ließ sich während der Stunde blicken, auf die Purcell ihr Frühstück ausdehnte. Wie sollte sie die Zurückhaltung der Männer deuten? Falls es daran überhaupt etwas zu deuten gab. Im Gegensatz zu dem ursprünglichen Eindruck, den sie am Fährterminal von ihm gewonnen hatte, erwies
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