Unguad
über Isabell. Meine malende
Freundin. Wir umarmten uns.
»Ich bin viel zu spät dran! Aber ich hatte vorher keine Zeit, die
Bilder aufzuhängen. Christophe war da.« Mit schlanken Künstlerinnenfingern warf
sie ihre seidigen braunen Haare über die Schulter, ein verträumtes Lächeln um
die Lippen.
»Oh, Christophe!« Ich musste lachen. »Da kannst du natürlich nicht
an deine Vernissage denken! Kommt er denn auch?« Ich hatte ihren jungen Liebhaber
schon lange nicht mehr gesehen.
»Nein, leider, er musste gestern zurück nach Paris. Wir sehen uns
erst Ende des Monats wieder.«
»Na, nun komm! Keinen Trübsal blasen!« Ich rubbelte ihr über den
Rücken. »Soll ich dir beim Aufhängen der Bilder helfen?«
»Ja, das wäre schön! Hast du denn Zeit?«
»Passt schon!« Ich hielt ein farbenfrohes Gemälde in die Höhe. »Wo
soll das hier hin?«
Isabell malte bunt, sehr bunt. Mir gefiel es und vielen anderen
inzwischen auch. Das freute mich für sie. Sie hatte es in den letzten Jahren
nicht leicht gehabt.
Aber jetzt verkauften sich ihre Bilder ganz gut und mit ihrem
Freund, der die Bilder auch in Frankreich, genauer gesagt Paris anbieten
wollte, kam vielleicht ihr internationaler Durchbruch. Dann hingen einige echte
»Chiaras« bei mir an den Wänden und ich konnte in Ruhe die Wertsteigerung
abwarten.
Da Isabell keinen Schraubenzieher mitgebracht hatte, wir ihn aber
zum Festziehen der Aufhängung gebraucht hätten, organisierte ich einen beim
Hausmeister. Ein Vorteil, wenn man viel Zeit hier verbringt, man kennt sich
aus.
Als fast alle Bilder an ihrem Platz hingen, kam Frau Imhoff aus
ihrem Zimmer. Sie begrüßte die Künstlerin und besprach noch einige Details für
den heutigen Abend mit ihr. Dann wandte sie sich an mich.
»Gut, dass ich Sie hier treffe, Frau Schneider. Hätten Sie einen
Moment Zeit für mich?«
»Kommst du allein klar?«, fragte ich Isabell.
»Natürlich. Geh nur. Und danke für deine Hilfe!« Isabell umarmte
mich herzlich. »Tschüss, bis heute Abend.«
In Frau Imhoffs Zimmer setzten wir uns an ihrem Schreibtisch
gegenüber.
»Wie geht es Ihnen, Frau Schneider? Alle Kinder gesund?« Oh, sie
will erst mal Small Talk machen. Dann wird das wohl ein unangenehmes Gespräch.
»Danke, gut. Frau Imhoff, Sie wollten mich sprechen?« Lange Einleitungen
waren mir immer schon ein Graus.
»Ja. Also. Ihre Frau Mutter. Die Pflegeleitung auf Station zwölf hat
mir berichtet, dass Frau von Markovics laufend größere Probleme hat, sich an
etwas zu erinnern. Ihre Gedächtnisleistung lässt täglich nach. Man muss an
Demenz denken.« Hier machte sie eine Pause und versuchte sich an einem
anteilnehmenden Gesichtsausdruck. »Allerdings müsste dies von der Krankenkasse
Ihrer Mutter offiziell festgestellt werden. Das heißt, dass wir einen
entsprechenden Antrag auf Einstufung in die Pflegestufe eins stellen und jemand
von der Krankenversicherung zur Überprüfung vorbeikommt. Wenn Sie wollen,
können Sie bei dem Termin anwesend sein.«
Aha, daher wehte der Wind. Ich hatte mich schon gefragt, seit wann
sich Frau Imhoff Gedanken über das Wohlergehen ihrer Schützlinge machte. Aber
wenn dabei mehr Geld für das Heim heraussprang, war das natürlich etwas
anderes.
»Ja, Frau Imhoff. Ich habe die Veränderungen bei meiner Mutter
ebenfalls bemerkt. Es ist ja schon seit Längerem so. Das war unter anderem ein
Grund, warum ich auf ihren Umzug hier ins Altenheim gedrängt hatte. Ich werde
auch mit ihr zum Arzt gehen. Allerdings nicht, weil ich an der Einordnung für
die Pflegekasse interessiert bin …«, an dieser Stelle wurden Frau Imhoffs Augen
zu schmalen Schlitzen, »sondern weil ich hoffe, dass man medikamentös noch
etwas machen kann. Zumindest ihren jetzigen Zustand erhalten.«
»Nun, wenn Ihre Frau Mutter bei Ihnen wohnen würde statt hier im
Altenheim, dann wären Sie wahrscheinlich auch am Pflegegeld interessiert«,
blaffte sie mich an.
So eine Unverschämtheit! Ritt auf meinem schlechten Gewissen herum,
das ich hatte, weil ich meine Eltern »ins Heim gesteckt hatte«, anstatt sie bei
mir zu Hause zu pflegen, wie es sich für eine liebende Tochter gehörte.
»Wenn meine Eltern und alle anderen nicht hier wohnen würden, würden
Sie auch nichts verdienen. Und das tun Sie doch, und nicht mal schlecht, oder,
Frau Imhoff?«
Sie schaute mich einen Moment lang an. Traf ihre Entscheidung und
ließ ihre Stimme wieder einschmeichelnd klingen. »Lassen Sie uns nicht
streiten, liebe Frau Schneider. Ich
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