Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
Vom Netzwerk:
versuchte es immer wieder, mit wachsendem Unmut und steigendem
Kraftaufwand. Aber ohne Erfolg. Er probierte es mit einer Aufwärtsbewegung von
unten nach oben. Zwecklos. Ein scharrender Ton kündete vom Materialverlust des
Plastiks. Frustriert hieb Linus mit der Faust gegen die Blechtür. Die
Scheckkarte war nicht mehr zu gebrauchen. So ein Mist! Noch ein hämmernder
Schlag aufs Metall.
    Sein Großvater legte ihm beruhigend die Hand auf den Rücken. »Lass
es mich einmal versuchen«, sagte er, »ehe du alle Leute aufweckst und auf uns
aufmerksam machst.« Sanft schob er Linus beiseite, fasste in seine Jackentasche
und holte einen kleinen Schraubenzieher hervor.
    Verdutzt blickte Linus auf das Werkzeug. »Wo hast du das denn so
schnell her?«, wollte er wissen.
    Tibor wiegte den Kopf. »Gestern habe ich den Schalter der Tischlampe
festgeschraubt.« Als er den überraschten Blick seines Enkels sah, schob er eine
Erklärung nach. »Ja, ja, ich weiß, aber er war locker, und bis ich auf den
Hausmeister warte, haben wir schon einen elektrischen Schlag bekommen. Und ich
hatte den Schraubenzieher noch nicht wieder in meinen kleinen Werkzeugkasten
geräumt.« Heiter betrachtete er Linus.
    »So, jetzt wollen wir sehen.« Er lehnte seinen Stock an den
Nachbarspind und machte sich an die Arbeit. Konzentriert stocherte er in dem
Schloss herum und drehte gleichzeitig an dem Knauf der Tür. Bald schon tat ihm
sein Kreuz vom ungewohnten Herabbeugen weh. Aber es wäre ja gelacht, wenn sie
sich von so einem Stück Metall kleinkriegen lassen würden.
    Er stocherte und drehte, vollführte Kreisbewegungen und zog. Und da.
Tatsächlich. Das Schloss gab nach, die Tür sprang auf. Heureka!
    »Hey, super!« Linus war beeindruckt. Da hatte der alte Herr ja
wirklich noch was auf dem Kasten.
    Tibor brachte seine Wirbelsäule vorsichtig Stück für Stück wieder in
die Senkrechte. Er hätte selbst nicht gedacht, dass er Erfolg mit seiner
Stümperei haben würde, aber das musste man sich vor der jüngeren Generation ja
nicht anmerken lassen.
    »Das hätten wir geschafft. Schauen wir also, was es Interessantes zu
finden gibt.«
    Beide beugten ihren Kopf vor, um in das Innere des Spinds zu
blicken. Es erwartete sie nichts Aufregendes. Auf dem Bügel hing eine leichte
Jacke. Wahrscheinlich hatte Hecker sie hier deponiert für den Fall, dass es
nach Schicht regnen sollte. War im Juni ja nicht so ungewöhnlich. Unten standen
weiße Plastik-Clogs, seine Schuhe auf der Station. In dem schmalen Seitenregal
fanden sich Taschentücher, Kondome – Gott, für was brauchte er die denn? Oh, na
klar. Elvira. Tibor räusperte sich. Eine Haarbürste mit einzelnen hellroten
Haaren vom Hecker. Aber an einem DNA -Test waren sie nicht interessiert. Eine
Zeitschrift. Linus klappte sie auseinander. Eine vollbusige Frau strahlte ihnen
entgegen, umrahmt von roten und gelben Schlagzeilen. Sein Großvater nahm ihm das
Schundblatt kopfschüttelnd wieder ab und legte es zurück. Stattdessen zog er
ein schwarzes Etui aus der Ecke hervor. Beide hielten den Atem an, als Tibor
den Verschluss aufschnappen ließ. Was war das? Sie schauten genauer hin.
Traubenzucker? Ja, tatsächlich. Traubenzuckerbonbons. Hecker sorgte anscheinend
vor, um einem drohenden Unterzucker begegnen zu können. Weiter hinten lag eine
Papiertüte mit einer angegammelten Leberkassemmel. Aber keine
aufsehenerregenden neuen Erkenntnisse. Nichts Brauchbares für Linus’
Gegenattacke. Opa und Enkel waren enttäuscht.
    Tibor wollte gerade die Tür schließen, als ihm an der Innenseite der
Spindtür ein Foto auffiel. Er hielt in der Bewegung inne und zeigte mit seinem
Finger darauf.
    »Linus. Hier. Schau.«
    Der Junge, der sich schon frustriert weggedreht hatte, bekam wieder
Energie. »Was?«
    »Na, da. Ich habe meine Brille nicht auf, aber ist das nicht der
Hecker?«
    Neugierig beugte sich sein Enkel vor. Inspizierte das Foto. In
Zeitlupe richtete er sich auf. »Ja, allerdings als Baby.«
    »Wie?« Tibor versuchte eine Stellung zu finden, in der seine Augen
fokussieren konnten. Es gelang ihm jedoch nicht. »Der Mann sieht doch wie
Hecker aus.«
    »Ja, schon. Aber schau dir die Autos da hinten an. Die sind
eindeutig siebziger Jahre. Und die Klamotten. Und der Haarschnitt. Du, ich
glaube, das ist der Hecker als Baby. Mit seinen Eltern. Er sieht seinem Vater
so was von gleich.« Spöttisch fügte Linus hinzu: »Der war auch keine
Schönheit.«
    »Hm. Und wer ist die Mutter? Sie kommt mir so bekannt vor.«

Weitere Kostenlose Bücher