Unguad
durchschlüpfen konnte.
Also musste Linus doch aktiv werden. Er quetschte sich zwischen
Roll- und Besucherstuhl hindurch, am Nachttisch vorbei, beugte sich vor und
schüttelte den Stoff auf. Das war’s.
Bevor es dem Jungen gelang, sich zurückzuziehen, sagte Szabó: »So,
jetzt noch die Beinkleid.«
Linus schaute ihn entsetzt an. Er musste doch dem fremden alten Mann
nicht die Hose wechseln! Oder? Der begann jedoch schon, an seinem Pyjama zu
zupfen. Béla versuchte, sein Hinterteil so weit zu drehen, dass er eine Seite
der Schlafanzughose hinunterschieben konnte. Es funktionierte nicht.
»Junge, du musst mich hochheben. Sonst geht nicht.«
»Und wie?« Linus’ Handflächen wurden feucht. Er hatte doch bloß der
Anna helfen wollen. Hatte gedacht, es würde Spaß bringen, nachts ein bisschen
im Heim herumzugeistern. Aber das!
»Noh, du musst unter die Schultern, ja so, und dann, hepp, noh mehr.
Mehr!« Der Junge umfing Szabó in seltsamer Umarmung und zog ihn hoch. Béla
hatte seine Arme um dessen Hals gelegt und hielt sich fest. Er schwebte mit
seiner Kehrseite über dem Bett. Fahrig zerrte er an seiner Pyjamahose, aber
sehr effektiv war das nicht.
»Linus, lang hin!«, forderte ihn sein Großvater auf. Er konnte nicht
verstehen, warum der Junge sich so anstellte.
Dieser versuchte, seinen Kopf so weit wie möglich zur Seite zu
drehen. Er wollte Szabós Schweiß nicht riechen. Dann packte er mit seinem
linken Arm fester zu, griff mit der frei gewordenen rechten Hand den Stoff der
Hose und zog sie hinab. Es hakte. Automatisch schaute er hinunter. Da hing ein
Plastikschlauch! Mit gelben Tropfen, die sich an der Innenseite nach unten
schlängelten. Er wollte sich nicht vorstellen, wo der denn befestigt war.
Gnädigerweise verdeckte das herabhängende Oberhemd die Stelle.
Der Junge fing zu schwitzen an. Der alte Mann wurde auf Dauer ganz
schön schwer. Beide schwankten leicht hin und her. Linus wechselte die Arme,
und dann hatten sie es geschafft. Die Schlafanzughose glitt zu Boden und blieb
um die Füße des Alten geringelt liegen. Mit einem lauten Seufzer und einem
hörbaren Plumps sackte Béla auf sein Bett. Linus hatte die Nase voll. Anna
musste er bewundern. Die machte so was freiwillig und auch noch gerne.
Szabó bewegte seine Füße, um sich aus der Hose zu befreien. Eine
unwillige Handbewegung von Tibor zusammen mit einem unzufriedenen
Zungenschnalzer brachten Linus dazu, sich zu bücken und Béla bei seinen
Bemühungen zu helfen. Flüchtig warf er einen Blick auf den halb vollen Beutel
mit dunkelgelbem Inhalt, der Szabó um die Wade geschnallt war. Hastig wandte er
seine Augen ab. Das war zu viel Realität für ihn. In einer flinken Bewegung
schmiss er die Schlafanzughose aufs Bett und nahm die Unterhose zur Hand. In
fast schon geübter Weise bekam er es fertig, Szabó zuerst sie und danach die
Stoffhose anzuziehen. Als das endlich geschafft war, ließ er sich stöhnend in
den Rollstuhl fallen. Kein soziales Jahr für ihn. Er würde Maschinenbau
studieren.
Tibor schaute auf den Wecker, der auf Szabós Nachttisch stand. »Es
ist kurz vor elf. Wir haben noch Zeit.«
»Noh, so viel nicht. Nachtschwester kommt um zwölf, um
nachzuschauen.« Er knöpfte den letzten Hemdenknopf zu. »Beutel leeren.«
»Oh.« Linus hatte von diesem Thema erst mal genug.
»Ja, gehen wir.« Tibor war es eigentlich recht, etwas tun zu können.
Er spürte die Müdigkeit schon sehr in seinen Knochen. »Junge, hilf Béla doch in
seinen Stuhl.«
Sein Enkel gehorchte und in bekannter Manier, einander fest
umschlungen, tanzten sie eine halbe Drehung vom Bett in den Rollstuhl.
»Wo gema hi?«, versuchte Szabó eine Parodie des Bayerischen.
Ächzend stand sein Freund auf. »Wir werfen einen Blick in Heckers
Spind.«
Die beiden anderen waren einverstanden. Linus fasste wie
selbstverständlich die Handgriffe des Rollstuhls. Sein Großvater wackelte zur
Tür. Das gleiche Prozedere wie vorhin. Als er sich überzeugt hatte, dass sie ungesehen
hinauskonnten, zuckelten sie vor die Tür und dann den Gang entlang zum hinteren
Lift. Tibor drückte auf den Knopf. Sie warteten. Der Aufzug kam, öffnete
automatisch seine Türen. Linus drehte Szabó um, damit er rückwärts einfahren
konnte. Da hörten sie schnelle Schritte über den Flur eilen.
»Ist da wer?«
Schwester Sieglinde.
»Lasst mich da. Ich mache ihr stopp.« Szabó legte seine Hände auf
die Räder seines Rollstuhls und wollte anschieben, aber Linus hielt noch fest.
Tibor
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