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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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Schmutzwasser spritzte auf. Der Fahrer zeigte mir den
Mittelfinger.
    »Willst uns umbringen?«, schrie Hecker von hinten. »Verdammte Fotze,
jetzt reiß dich zusammen!«
    Ich nickte. Zusammengesunken drehte ich mit bebender Hand am
Zündschlüssel. Das Auto sprang an. Ich schaute mich diesmal um und fuhr los.
Stotternd und in Schrittgeschwindigkeit.
    »Mach die Scheibenwischer an!«
    Inzwischen regnete es in Strömen. Das hatte ich nicht registriert.
Mein Gehirn war damit beschäftigt, meinen Körper abzuhalten, in Panik
davonzugaloppieren. Ich atmete bewusst ein und aus. Versuchte, einen klaren
Kopf zu bekommen. Den brauchte ich dringend. Ich betätigte den Schalter, die
Wischer schrappten über die Windschutzscheibe.
    »Wohin …« Ich räusperte mich, setzte nochmals an. »Wohin fahren wir
denn?«
    »Kirchmünster.« Knappe Antwort.
    »Und dann?«
    »Klappe.«
    Ich überlegte fieberhaft, was ich machen könnte.
    Was will er?
    Wo fahren wir hin?
    Und was passiert dann?
    Ich musste ihn zum Reden bringen, das war meine einzige Hoffnung.
Ich kramte in meinem Gedächtnis. Wie war das damals? In meiner Ausbildung zur
psychologischen Beraterin hatte ich verschiedene Techniken gelernt. Gewaltfreie
Kommunikation, ja, so hieß eine. Angeblich konnte man damit sogar Vergewaltiger
aufhalten. Oh, klar, der Hecker. Wer Frauen belästigt, vergewaltigt auch! Ich
keuchte. Oh Scheiße! Ich will nicht vergewaltigt werden! Gütiger Gott! Seine
Hand klatschte auf meine Schulter. Ich schreckte auf. Da lag sie wie ein toter
Fisch. Am liebsten hätte ich sie abgeschüttelt! Weg! Weg! Weg! Aber ich traute
mich nicht.
    Nicht reizen!
    Reden!
    Bloß was?
    Also gewaltfreie Kommunikation.
    Wie war das? Wir haben das damals doch wochenlang geübt.
    Denk nach, Karin.
    Ruhig. Ruhig.
    Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Ja, genau. Automatisch
schaltete ich in den nächsthöheren Gang. Ich sitze mit einem
Scheißvergewaltiger im Auto. Hab eine Scheißangst. Das verstößt gegen mein
Bedürfnis, keine Scheißangst wegen einer Scheißvergewaltigung zu haben. Nimm
deine verdammten Pratzen von mir und verpiss dich!
    So kam ich nicht weiter.
    Konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen.
    Ich lugte in den Rückspiegel.
    Was machte er denn jetzt?
    Er pfiff!
    Erst tonlos, holte mehr Spucke, irgendeine bescheuerte Melodie.
Machte er sich lustig über mich?
    Oder war er unsicher?
    War das gut oder schlecht?
    Mit einem Mal durchfuhr mich die Erkenntnis siedend heiß, dass sich
Runa die ganze Zeit nicht gerührt hatte. Was war mit ihr? Hatte er sie
umgebracht? Vergiftet, mit einem Leckerli? Mir wurde noch übler.
    »Was haben Sie mit meinem Hund gemacht?«, fuhr ich ihn an. Meine
Sorge um Runa brachte Pep in meine Stimme. Wenn er meinem Liebling was getan
hatte, dann gnade ihm Gott!
    Widerwillig unterbrach er sein Gepfeife. »Pennt.« Setzte von Neuem
an. Nervenaufreibend. Ich bemerkte kaum, dass er die Spritze wieder an meinen
Hals hielt.
    »Schläft sie, oder ist sie tot?« Ich glaubte ihm nicht.
    Er pustete ungestört seine unzusammenhängenden Töne durch die
gespitzten Lippen.
    »Runa!«, schrie ich. »Runa, wach auf!«
    Sein Pfeifen brach ab. »He, was soll das! Halt’s Maul!«
    Er war böse. Das war mir egal. Erleichtert hatte ich gehört, dass
sie geseufzt hatte und mit den Pfoten gegen die Gitterstäbe gestoßen war. Sie
lebte. Gott sei Dank. Mit ein wenig mehr Mut versuchte ich erneut, ihn zum
Sprechen zu bewegen.
    »Die Heidemarie Wieland ist Ihre Mutter, nicht wahr?« Die Nadel der
Spritze ritzte tiefer in meinen Hals. »Au!«
    Ist wohl erschrocken, der Kerl.
    Das hatte ich nicht beabsichtigt. Vom Umgang mit Psychopathen hast
du keinen Schimmer, Karin.
    Hecker antwortete nicht.
    »Was würde die Heidemarie sagen, wenn sie wüsste, was Sie gerade
tun?«, versuchte ich sein Gewissen zu finden.
    Er lachte. Heiser. Das tat mir genauso in den Ohren weh wie sein
verdammtes Gepfeife.
    »Ist es … ist es nicht schön, nach so vielen Jahren seine … seine
Mutter zu treffen?«, stotterte ich.
    »Die hätt bleiben sollen, wo sie war.«
    Ein Satz. Endlich ein ganzer Satz.
    Weiter so.
    Ich hustete, versuchte, meinen Hals freizukriegen. »Ich kann mir
vorstellen, dass es nicht leicht ist, im Heim aufzuwachsen.« Von meiner
Verständnisheuchelei musste ich beinahe kotzen.
    »Da hast verdammt recht.« Im Spiegel erkannte ich, dass er grimmig
nach vorne starrte. Die roten Augenbrauen düster zusammengezogen.
    Ich stocherte einfach weiter. »Die großen

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