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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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Haus am Kirchplatz. Früher war dort eine Bäckerei gewesen. Jetzt
stand das Gebäude schon länger leer und verfiel. Kein Aushängeschild für unsere
kleine Stadt, aber angeblich würde es demnächst abgerissen. Wollte er mich da
hineinbringen?
    Ich hielt und stellte den Motor ab. Sondierte die Lage. Rechnete
meine Chancen aus, hier auf Hilfe zu stoßen.
    Der Wirt nebenan hatte ausgerechnet heute Ruhetag. Der Biergarten
war leer. Beim Griechen saß bei dem Regen auch keiner im Freien. Außerdem war
der viel zu weit weg, als dass jemand auf uns aufmerksam hätte werden können.
    Super! Da vorne kam ein Paar auf mein Auto zu. Duckten sich
gemeinsam unter einen Regenschirm und hielten wohl nach dem Nachtleben in
Kirchmünster Ausschau.
    Ich kannte sie nicht.
    Wahrscheinlich Kurgäste aus der nahen Griesbacher Therme. Die fanden
es nicht seltsam, dass ein junger Mann einer Frau die Wagentür aufhielt und ihr
jetzt die Hand zum Aussteigen reichte. Sie stützte und festhielt. Warum auch?
    »Guten Abend«, grüßte ich laut hinüber. Wenigstens sollten sie sich
den Hecker merken. Damit er überführt werden konnte, wenn er mich ermordet
hatte.
    Sein Daumen bohrte hart in die Kuhle meines Schlüsselbeines. Der
Schmerz zwang mich fast in die Knie.
    »Pass ja auf!«, zischte er.
    Aber die beiden lächelten nur herüber und nickten freundlich. Wer
dachte auch schon, dass er beim Kuren Zeuge einer Entführung werden würde.
    Also keine Rettung von dieser Seite. Meine Hoffnung konzentrierte
sich wieder auf Heidemarie. Hecker fasste mich unter dem Arm. Ich spürte die
Hand mit der Spritze auf meinem Rücken und fügte mich in mein Schicksal.
    Erstaunlicherweise gingen wir nicht auf das Abbruchhaus zu. Wir
bogen in die kleine Gasse daneben und klingelten bei der Bücherei. Obwohl sie
schon lange geschlossen hatte, brannte noch Licht. Es schien durch die Spalten
der Fensterläden.
    Seltsam.
    Der Schlüssel wurde knarrend in dem alten schmiedeeisernen Schloss
umgedreht und die schwere Tür geöffnet.
    Und tatsächlich.
    Da stand Heidemarie. Der warme Schein der Lampen im Raum hinter ihr
ließ ihre blonden Haare golden leuchten. Sah fast wie ein Heiligenschein aus.
Sie schenkte mir ein freundliches Willkommenslächeln und gab die Tür frei.
    »Karin, wie schön, dass du es einrichten konntest.«
    Darauf fiel mir keine Erwiderung ein. Diese Begrüßung hatte ich
nicht erwartet.
    Hecker versetzte mir einen Stoß, und ich taumelte in den Vorraum.
Hinter mir schloss Heidemarie die Tür und sperrte ab. Hecker führte mich mit eisernem
Griff durch die Räume. Überall Bücher. Regale voll bis unter die Decke. Romane,
Liebesgeschichten, Krimis und Sachbücher. Der typische Geruch nach altem, viel
gelesenem Papier hing in der Luft. Wie oft war ich früher hier gewesen und
hatte mit meinen Kindern in der bunten Kinderbuchecke dort geschmökert!
    Irgendwie fühlte ich mich ein klein wenig beschützt. Es war zwar
total irrational, aber die Bücher gaben mir Kraft. Möglicherweise war es ja
doch nicht so furchtbar, wie es auf den ersten Blick aussah. Vielleicht hatte
der Hecker nur eine asoziale Manier, jemanden für einen Plausch abzuholen. Oder
es war seine Art, schäbige Witze zu machen. Ich sah mich nach Heidemarie um,
die einen Schritt hinter uns ging. Sie lächelte mir freundlich zu. Ich lächelte
zurück. Noch war nicht alles verloren.
    Hecker schob mich durch den Gang mit den dicken Geschichtsschmökern.
Ich ließ meinen Blick über die verblichenen, goldbedruckten Ledereinbände
gleiten. So viel war schon passiert in der Welt. Vor einer gedrungenen dunklen
Holztür hielten wir an. Sie schien fast quadratisch. Keiner sagte ein Wort.
Heidemarie drängte sich an uns vorbei, sperrte mit einem klobigen Schlüssel auf
und zog mit Kraft an dem eisernen Griff, um die Tür zu öffnen. Das schwere Holz
schwang knarrend auf. Ein kühler Hauch wehte mir ins Gesicht. Gänsehaut kroch
über meinen Körper.
    Vor uns Finsternis.
    Mir schwante Böses. Meine mit der Mühe der Verzweiflung aufgebaute
Hoffnung bröselte zusammen. Da wollte ich nicht hinunter!
    »Heidemarie?« Meine Stimme war rau.
    Sie drehte sich zu mir um. Verzog keine Miene.
    »Was ist denn los? Was machen wir hier?«, krächzte ich.
    Ihr freundlicher Gesichtsausdruck wirkte starr. Sie zeigte mit der
Hand einladend auf die dunkle Treppe nach unten.
    »Das wirst du schon noch sehen. Überraschung!« Es klang, als würde
sie mich zu einem Kindergeburtstag bitten.
    »Na los.« Hecker

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