Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
doch
irgendetwas sagte ihr, dass sie sich darum die geringsten Sorgen machen musste.
    Der Gedanke weckte ihren Trotz. Seltsamerweise spürte sie plötzlich
überhaupt keine Furcht mehr. Ganz anders als vor wenigen Tagen, als sie Aisler
gegenübergestanden hatte, war ihr zwar auch jetzt auf eine sonderbar
distanzierte Art klar, dass sie möglicherweise sterben würde, aber sie empfand
keine Angst, sondern ganz im Gegenteil eine fast hysterische Erheiterung bei
der Vorstellung, dass man ihre Leiche finden und möglicherweise feststellen
würde, dass sie von zwei Kindern in albernen
Halloween-Kostümen umgebracht worden war.
    Nein, sie würde ganz bestimmt nicht zulassen, dass man sie so in Erinnerung behielt!
    Irgendetwas … geschah mit ihr; vielleicht
auch nicht mit ihr, sondern mit dem Rest der Welt um
sie herum. Das Wissen um ihren bevorstehenden Tod sollte sie entweder lähmen
oder eine Flut von Adrenalin und Endorphinen in ihr freisetzen, die sie
explodieren und verzweifelt um ihr Leben kämpfen ließ, aber etwas vollkommen
anderes geschah: Eine fast schon natürliche Ruhe überkam sie, und plötzlich
schienen alle ihre Sinne mit mindestens der doppelten Schärfe zu funktionieren.
Trotz der unzureichenden Beleuchtung konnte sie beinahe normal sehen, und
Geräusche und Gerüche und andere, nie gekannte Empfindungen stürmten wie eine
Flutwelle auf sie ein. Sie hörte das Prasseln der Flammen, roch brennendes
Papier und schmorenden Stoff und noch einmal und noch intensiver den Gestank
von schmelzendem Kunststoff, und sie spürte sogar den Wahnsinn, der chemisch
verstärkt durch die Adern ihres Gegenübers raste. Das Flackern in seinen Augen
war nicht nur reine Mordlust. Der Kerl war zugedröhnt bis unter die
Haarspitzen. Außerdem brannte er. Der Saum seines schwarzen Kunstledermantels hatte
Feuer gefangen und schmorte mit winzigen, heftig rußenden gelben Flämmchen vor
sich hin.
    Das Ergebnis all dieser Beobachtungen war ein noch stärkeres, fast
schon unheimliches Gefühl von Kälte und Berechnung, das plötzlich von ihr
Besitz ergriff und sie auf einer zum bloßen Zuschauer verdammten Ebene ihres
Bewusstseins mit nichts anderem als Entsetzen erfüllte. Ganz plötzlich hatte sie Angst, aber es war keine Angst vor dem
Wahnsinnigen, der sie gepackt hatte, sondern vielmehr vor sich selbst, der
unheimlichen Veränderung, die plötzlich mit ihr vonstatten ging und gegen die
sie vollkommen hilflos war; fast, als wäre sie nicht mehr sie selbst oder
zumindest nicht mehr Herr ihrer Entscheidungen. Sie tat so, als wollte sie sich
losreißen, warf sich dann ganz im Gegenteil nach vorne und nutzte seine
Überraschung, um einen unbeholfenen, jedoch mit aller Kraft geführten Hieb
gegen seine verletzte Hand anzubringen. Der schartige Stahl seiner künstlichen
Klaue biss mit einem dünnen, grausamen Schmerz in ihre Handfläche, doch das bis
auf den Knochen reichende Brennen war nichts gegen den gepeinigten Schrei, den
er ausstieß, während er zurücktaumelte. Blitzartig wirbelte Conny herum,
registrierte im buchstäblich allerletzten Moment eine Bewegung aus den
Augenwinkeln und duckte sich. Irgendetwas zischte so dicht über sie hinweg,
dass sie eine Haarsträhne verlor, und ein harter Schlag traf sie in die Seite
und brachte sie zum Straucheln. Aus dem geplanten blitzartigen Sprint zur Tür
wurde ein ungeschicktes Stolpern, das nach kaum zwei oder drei Schritten in
einem weiteren Sturz auf Hände und Knie hinab endete. Dann traf sie ein
Fußtritt in die Seite und schleuderte sie endgültig zu Boden.
    Der Aufprall war so hart, dass sie beinahe das Bewusstsein verlor.
Alles drehte sich um sie, und in ihrem Mund war plötzlich der Geschmack von
bitterer Galle und Blut. Sie versuchte sich hochzustemmen, und zunächst
reichten ihre Kräfte nicht, dann wurde sie brutal an den Haaren gepackt und in
die Höhe gerissen. Ein Schatten erschien in ihrem verschwommenen Blickfeld und
wurde zu einer Hand, die zwar nicht zur Faust geballt, aber dennoch so hart in
ihr Gesicht klatschte, dass sie nun beinahe endgültig das Bewusstsein verloren
hätte und nur deshalb nicht stürzte, weil der Kerl ihr im gleichen Augenblick
die andere Hand vor die Brust stieß und sie quer durch das kleine Zimmer
schleuderte. Sie stieß gegen irgendetwas Hartes, das sich anfühlte, als wolle
es unter ihrem bloßen Anprall

Weitere Kostenlose Bücher