Unheil
vornehmen würden. Die Frage ist nicht, ob es ihn gibt oder wer oder was er ist, sondern was er von
Ihnen will! Also strengen Sie sich gefälligst an und überlegen Sie, wer er sein
könnte. Ob Sie ihn kennen könnten, welchen Grund er haben könnte, ein derart
böses Spiel mit Ihnen zu treiben!«
»Glauben Sie wirklich, das hätte ich nicht schon getan?«, fragte
Conny scharf. Was nicht der Wahrheit entsprach. Tatsächlich fragte sie sich
genau in diesem Moment und ebenso verblüfft wie empört über sich selbst, wieso sie
eigentlich nicht schon längst auf diesen â an sich doch so nahe liegenden â
Gedanken gekommen war. Dennoch schüttelte sie nur noch einmal und noch heftiger
den Kopf. »Ich kenne den Kerl nicht. Glauben Sie mir, ich würde mich daran
erinnern.«
»Dann muss er einen anderen Grund haben«, erwiderte er. »Jemand, dem
Sie etwas getan haben und der ihm etwas bedeutet. Etwas, was Sie gesagt oder
getan oder vielleicht auch gerade nicht gesagt oder getan haben, beruflich oder
privat â¦Â«
Conny hob die Hand, um seinen Redefluss zu unterbrechen. »Ich weiÃ,
was Sie meinen. Ich bin Profi, schon vergessen?«
»Nein«, antwortete Trausch. »Aber ich beginne mich zu fragen, ob Sie sich wirklich noch daran erinnern.«
»Wie bitte?«
Trausch zwang sich sichtbar zur Ruhe. »Ich schätze Sie, Conny.
Sowohl als Mensch als auch als Kollegin. Ich halte Sie für eine sehr fähige
Polizistin, auch wenn Sie in dieser Abteilung vielleicht nicht am richtigen
Platz sind. Aber seit dieser Geschichte im Trash ⦠« Er
breitete in einer beinahe hilflos aussehenden Geste die Hände aus. Sein Zorn
verrauchte so schnell, wie er gekommen war, und lieà ein sonderbares Gefühl von
Leere und Enttäuschung in Conny zurück. »Dieser Kerl hat es auf Sie abgesehen.
Und das ist vielleicht unsere einzige Chance, ihn zu kriegen.«
»Wieso?«
»Weil wir praktisch keine Chance haben, an ihn heranzukommen, wenn
er tatsächlich nur ein Verrückter ist, der sich seiner Opfer wahllos aussucht.
Aber das ist er nicht. Wenn Sie mitspielen, dann kriegen wir ihn.«
Conny erinnerte sich plötzlich an das Gespräch in Levèvres Büro, und
ein so plötzliches und intensives Gefühl von Bitterkeit und Enttäuschung
überkam sie, dass sie sich nahezu mit aller Kraft beherrschen musste, um nicht
zusammenzufahren. »Sie wollen mich als Köder benutzen?«, stellte sie fest.
Wenn sie auf irgendein Anzeichen von schlechtem Gewissen gewartet
hatte, so wurde sie enttäuscht. »Das sind Sie doch längst«, antwortete er. »Ob
Sie es wollen oder nicht.«
Conny schloss die Augen und ballte stumm die Hände zu Fäusten. Sie spürte,
dass sie ihre Züge nicht mehr unter Kontrolle hatte, sodass er ihr ganz genau
ansehen musste, wie sie sich fühlte und was in diesem Augenblick in ihr
vorging, aber das war ihr plötzlich egal. Das Gefühl von Enttäuschung wurde
beinahe übermächtig. Alles zerbrach rings um sie herum und auch in ihr. Und
plötzlich, jäh und ohne die geringste Vorwarnung, war der Schmerz da, auf den
sie bisher vergebens gewartet hatte. Er stieg nicht etwa langsam in ihr empor,
sondern explodierte regelrecht und füllte ihr inneres Universum von einem
Sekundenbruchteil auf den anderen mit purer Qual aus. Sie hatte das Gefühl â
sogar ganz real und körperlich â, dass ihr jemand den Boden unter den FüÃen
wegzog, dass ihr Leben zerbarst wie eine filigrane Statuette aus Glas, die von
einem Hammerschlag getroffen wurde. Plötzlich sah sie Sylvias Gesicht wieder
vor sich, die schreckliche Wunde in ihrer Kehle, aus der das Leben unaufhaltsam
aus ihr herausfloss, erinnerte sich wieder an das grässliche Gefühl von
Hilflosigkeit und Schmerz, das sie bei diesem Anblick überkommen hatte, und an
das, was sie im allerletzten Moment in ihren Augen gesehen hatte. Sie hatte es
bis jetzt nicht wahrhaben wollen, obwohl sie es natürlich sofort erkannt und
auch begriffen hatte, aber die Wahrheit war, dass sie in Sylvias allerletztem
Blick keine Angst gelesen hatte, kein Entsetzen oder Panik oder auch nur
Schmerz, sondern nur einen tiefen, ungläubigen Vorwurf. Sylvia hatte gewusst,
wovor sie bisher so erfolgreich die Augen verschlossen hatte: nämlich, dass
Trausch recht hatte und sie an ihrer Stelle starb.
»Es tut mir leid«,
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