Unheil ueber Oxford
Sie würde morgen zur Arbeit gehen und richtig herumschnüffeln. Viele Leute hatten sich für den Inhalt ihrer Schreibtischschubladen interessiert. Steven Charleston zum Beispiel, vielleicht aber auch Rob Grailing. Wahrscheinlich hatte auch Sadie darin herumgewühlt, ehe Kate den Arbeitsplatz übernahm. Vielleicht hatte man auch in den Computerdateien herumgestöbert. Der Rechner verfügte nicht über einen Passwortschutz, da es sich weder um private noch vertrauliche Dokumente handelte. Sadie mit ihrer Abneigung gegen Maschinen war es wohl kaum gewesen, aber jeder andere hätte sich seelenruhig dort umsehen können, während sie in Birmingham dem Kunstgenuss frönte. Vielleicht hatte jemand angenommen, dass es etwas von Interesse aufzustöbern gab, doch Kate selbst hatte nichts als ganz normale Briefe und Memos vorgefunden, die von jedem Beliebigen geschrieben worden sein könnten. Was natürlich nicht bedeutete, dass man dort nicht auch fündig werden konnte. Hatte sie wirklich in jedem Ordner und Unterverzeichnis nachgesehen? Sie musste sich unbedingt die Zeit nehmen, das zu tun. Immerhin hatte Christopher Townsend etwas entdeckt, und irgendwer nahm wohl an, dass sie ebenfalls darüber gestolpert war. Der Betreffende hielt sie – aus welchem Grund auch immer – für eine ausgesprochen neugierige Person, die möglicherweise bewusst in die Entwicklungsabteilung eingeschleust worden war, um Unstimmigkeiten aufzudecken. Natürlich entsprach das nicht den Tatsachen, zumindest bisher nicht. Doch vielleicht sollte sie versuchen, ihrem Ruf gerecht zu werden. Die Gefahr wurde dadurch nicht größer. Schließlich bedrohte man sie schon jetzt, obwohl sie noch völlig ahnungslos herumlief. Wenn Kate genauer darüber nachdachte, hatte sie durchaus Hinweise auf verschleierte Aktivitäten zum Geldverdienen entdeckt; die meisten Fälle waren vermutlich nicht ganz legal, möglicherweise sogar kriminell. Und jeder, der in diese Machenschaften verwickelt war, musste jetzt befürchten, dass sie ihn bloßstellte.
Wer aber war wichtig genug, dass es ihm etwas ausmachen könnte? Natürlich hatte Kate die unternehmerischen Tätigkeiten im Garten bemerkt und wusste, dass die Gärtner sich darüber im Klaren waren. Doch selbst wenn Dave Evans während seiner Arbeitszeit Setzlinge züchtete und verkaufte und dabei das Material des Colleges in Anspruch nahm, konnte sie sich nicht vorstellen, dass er sie deshalb mit Drohungen und gar Handgreiflichkeiten verfolgen könnte. Hatte sie etwa jemals behauptet, ihn anschwärzen zu wollen? Warum also sollte er wütend auf sie sein? Das Gleiche galt für den Pförtner und seine kleinen Besichtigungstouren außer der Reihe. Würde sich überhaupt jemand darum kümmern, wenn sie diesbezüglich Bericht erstattete? Kate hatte eher den Eindruck, dass jeder, angefangen beim Rektor bis hin zum kleinsten Angestellten, die Schultern zucken und ihm viel Glück wünschen würde.
Völlig anders verhielt es sich hingegen mit der Frau des Rektors. Kate war sich sicher, dass Honor Flint ausgesprochen strenge Ansichten über Ehrbarkeit hatte und selbst kleinere Abweichungen keinesfalls duldete. Sollte sie die alte Schachtel tatsächlich mit der Wahrheit konfrontieren und sie fragen, ob sie ebenfalls schon bedroht worden war?
Kate klemmte sich Susannah unter den Arm, holte das Fernsehgerät aus dem Schrank, zappte sich zu einer etwas wirren amerikanischen Krimi-Serie durch und sah eine Stunde lang konzentriert zu. Anschließend rief sie ein paar Freunde an und lud sie für später in der Woche zu einem gemeinsamen Essen ein. Zumindest an einem Abend in dieser Woche wäre sie so das unangenehme Gefühl los, das ihr in den letzten Tagen das Alleinsein zu Hause vergällte. Sie schaltete den Fernseher erneut ein, trank ein Glas Wein und aß vor dem Zubettgehen eine ganze Packung Schokoladenkekse.
Am nächsten Morgen war es immer noch warm. Kate hatte Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten und sich auf das Thema des morgendlichen Seminars zu konzentrieren. Eine träge Schmeißfliege surrte immer wieder gegen das Fenster, und Kate ertappte sich dabei, ihr mit den Augen zu folgen und ihrem Summen zu lauschen, bis ihr der Kopf auf die Brust sank. Sie riss die Augen auf und setzte sich aufrecht. Gleich würde man sie bitten, selbst einen Beitrag zu dem sinnlosen Wortsalat zu leisten. Sie versuchte, sich auf die Diskussion zu konzentrieren.
Gerade hatte Angela Devitt das Wort ergriffen. »Meiner Ansicht nach
Weitere Kostenlose Bücher