Unheil ueber Oxford
verfügte jedoch über einen scharfen Intellekt, den ich zu nutzen gedachte. Ich erkannte, dass sie soeben erst begann, die schönen Seiten des Lebens zu entdecken. Mir kam es vor, als ob sie bis zu diesem Zeitpunkt noch keine größeren Erfahrungen damit gemacht hatte.
Da war zum Beispiel die Kleidung. Sie liebte es, Seide in satten Edelsteinfarben zu tragen: ein rotes Kleid, strahlend bunte Schals, üppig gefärbte Blusen. Auch Leder mochte sie. Sie besaß kastanienbraune Schaftstiefel, eine Jacke aus violettem Ziegenleder und geräumige Handtaschen. Die farbige Kleidung hob ihre etwas langweiligen Züge positiv hervor und ließ ihre blasse Haut geradezu erglühen. Man fühlte sich beinahe versucht, zu glauben, dass sie eine schöne Frau war. In normalen Kleidern, ohne edelsteinfarbene Seide und glänzendes Leder, hätte man sie vielleicht übersehen – es sei denn, man hätte die Intelligenz in ihren Augen bemerkt. Sie hatte eine Art Affengesicht. Ihr dunkles, gewelltes Haar setzte tief in der Stirn an. Von Gestalt war sie schlank und drahtig und so mit sexueller Spannung aufgeladen, dass sie zu knistern und in der Dunkelheit Funken zu sprühen schien. Finden Sie, dass ich Unsinn rede? Nun, Faith brachte mich dazu, dass ich Unsinn dachte, redete und tat. Zum ersten Mal im Leben liebte ich jemanden mehr als mich selbst. Ich dachte ununterbrochen an sie. Wenn ich ihren Duft in die Nase bekam, geriet ich in Ekstase. Nie habe ich diesen Duft bei einer anderen Frau gerochen. Bis heute weiß ich nicht, wie er heißt, doch ich würde ihn sofort und jederzeit wieder erkennen. Ich würde »Faith« rufen, sie genau so vor mir sehen, wie sie am letzten Tag meines Lebens ausgesehen hat, und ich würde zu ihr laufen.
Natürlich kosten solche Kleider Geld, und sie liebte es, einzukaufen. Manchmal fuhr sie mit dem ersten Bus nach London, nahm die U-Bahn nach Knightsbridge und kaufte ein, sobald die Läden öffneten. Und am Abend kehrte sie mit so vielen Taschen und Tüten nach Oxford zurück, dass niemand mehr sein Gepäck in der Ablage verstauen konnte.
Ich überlegte lange, wie ich mich ihr nähern könnte. Sie war ganz anders als Sadie. Wenn ich es falsch anging, würde ich mich ihrer scharfen Zunge ausliefern und möglicherweise zum Gespött des gesamten Colleges werden, was ich natürlich unbedingt vermeiden wollte. Zunächst dachte ich daran, sie zu einem teuren Essen auszuführen, doch auf diese Weise war ich schon einmal abgeblitzt. Das sollte mir kein zweites Mal passieren.
Es war auf einer dieser Stehpartys, die der Rektor zu Beginn eines Semesters zu geben pflegt, um sowohl Belegschaft als auch Studenten auf die warme, behütete Gemeinschaft des Colleges einzuschwören. Briony war nicht anwesend, und ich glaube nicht, dass Faith überhaupt wusste, dass ich verheiratet war. Aber vielleicht wusste sie es auch, und es war ihr nur egal. Wir unterhielten uns eine Zeit lang, tranken drei oder vier Gläser vom australischen Chardonnay des Rektors und spazierten schließlich aus dem College hinaus und die High Street entlang.
Es war ein warmer, duftiger Abend. Langsam erlosch der letzte Lichtstreifen hinter dem Carfax Tower. Ich dachte fieberhaft darüber nach, wie ich vorgehen sollte. Natürlich konnte ich sie nicht zu mir nach Hause einladen, wo Briony auf mich wartete. Ich überlegte, ob ich ein Pub oder ein Weinlokal vorschlagen sollte, obwohl die Atmosphäre in beidem nicht dem entsprach, was ich für uns suchte. Ein Restaurant vielleicht? Wir waren nicht mehr weit von dem entfernt, wo ich mit Sadie gewesen war, und meine Demütigung dort ging mir noch zu nah. Vielleicht sollten wir in eines der Thai-Restaurants gehen, die kürzlich in der Gegend eröffnet worden waren.
Am Ende der Straße hatte ich mich automatisch nach links in Richtung Carfax gewandt, doch Faith ergriff meine Hand und zog mich sanft in die entgegengesetzte Richtung.
»Wir gehen zu mir«, sagte sie einfach. »Es sind höchstens fünf Minuten.«
» Und was wurde aus deinem Plan , Geld abzuzweigen? «
» Ach der? Was schon? Er spielte keine Rolle mehr . Nichts außer Faith spielte mehr eine Rolle .«
» Aber du hast ihn nicht vergessen? «
» O nein . Ich sprach mit ihr darüber .«
» Dann erzähl mir davon .«
» Habe ich Ihnen von Faith‘ Herkunft berichtet? «
» Zum Teufel mit Faith‘ Herkunft . Erzähl einfach , was geschehen ist .«
» Wie schon gesagt , die Zeit hat keine Bedeutung mehr für mich . Sie müssen sich in Geduld
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