Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
beweisen?«
»Nicht so richtig. Genauso wenig wie wir übrigens wissen, was wirklich zum Erstickungstod von Herrn Dr. von W. geführt hat. Fest steht nur, dass er erstickt wurde. Das Gutachten liegt vor, Sie können es lesen, und Sie dürften es auch verstehen bei Ihren Kenntnissen. Darüber müssen wir eigentlich nicht mehr streiten, oder?«
»Das Gutachten kann und will ich nicht anzweifeln, dazu reichen meine Kenntnisse nicht aus. Ich kann nur sagen, dass ich Dr. von W. nicht erstickt habe und schon gar nicht aus Habgier, wie es in diesem Pamphlet namens Haftbefehl steht.«
»Wenn ich ehrlich bin, kann ich mir das auch nicht so richtig vorstellen. Es ist für mich schwer nachvollziehbar, warum jemand ein ganzes Jahr lang einen Menschen aufopfernd pflegen sollte, um ihn dann umzubringen. Zumal Sie jemand sind, der sein ganzes Leben der Hilfe anderer Menschen verschrieben hat. Falls es also andere Umstände gibt, die den Tod Dr. von W.s erklären können und die nichts mit Mord zu tun haben, so wären Sie um Himmels willen gut beraten, darüber zu reden. Wer nicht spricht, kann sich nicht verteidigen, Frau O.«
Man merkte, dass sie über diese eindringlichen Worte nachdachte. Zum ersten Mal wirkte sie etwas offener und nahm schließlich sogar die verschränkten Arme herunter. Also setzte ich nach.
»Ich rate jetzt einfach mal ins Blaue hinein. Herr Dr. von W. war alt, sehr krank und dürfte nicht mehr lange zu leben gehabt haben. Ich weiß auch, dass jeder Mensch Angst vor dem Sterben hat, vor al lem wenn es qualvoll zu werden droht. Und weil ich Sie nicht für eine eiskalte Mörderin halte und annehme, dass Ihnen Dr. von W. voll vertraut hat, frage ich Sie jetzt mal direkt: Haben Sie mit Dr. von W. über das Thema Sterbehilfe gesprochen?«
Es folgte eine Pause. Therese O. dachte nach. Ich erkannte, dass ich ihr ein Stichwort gegeben hatte und dass sie dieses dankbar aufnahm.
»Natürlich haben wir darüber gesprochen. Das ist doch ganz normal bei alten Menschen. Die haben schließlich Angst und wollen Hilfe.«
»Frau O., gerade weil es so ist – ich war übrigens einige Jahre Todesermittler –, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie eine berechnende Mörderin sind, frage ich Sie noch einmal: Haben Sie Dr. von W. vielleicht versprochen, ihm beim Sterben zu helfen, wenn es so weit ist?«
Sie zögerte etwas, nickte dann leicht mit dem Kopf. Gleichzeitig tat sie jedoch so, als ob sie Angst habe, dies auch zuzugeben oder zu bestätigen. Ich hatte ihr eine goldene Brücke gebaut, jetzt kam es darauf an, ob sie diese überschreiten würde.
»Ja, selbstverständlich habe ich ihm immer wieder versprechen müssen, ihn nicht im Stich zu lassen und in seiner letzten Stunde bei ihm zu sein. Aber das wird einem ja alles negativ ausgelegt.«
»Wie meinen Sie das genau? Was könnte Ihnen negativ ausgelegt werden? Ihr Versprechen, bei ihm zu sein, wenn es so weit ist?«
»Ja, natürlich war ich bei ihm.«
»Er ist also nicht morgens tot im Bett aufgefunden worden, wie Sie ursprünglich sagten? Ist er in Ihren Armen gestorben?«
Therese O. schluckte heftig, bevor sie antwortete: »Ja, ich war bis zur letzten Sekunde bei ihm.«
Ich versuchte, meine folgende Frage möglichst einfühlsam zu stellen: »Frau O., haben Sie etwas getan, was den Befund der Rechtsmedizin erklären könnte, ohne dass es als Mord bezeichnet werden müsste?«
Nun erläuterte ich ihr den Unterschied zwischen Mord und Totschlag, erklärte ihr jedoch zugleich, aktive Sterbehilfe sei nicht erlaubt und könne als Tot schlag gewertet werden. Ich zitierte den Para grafen 216 Strafgesetzbuch, wonach eine Tötung auf Verlangen dann in Betracht kommt, wenn es der ausdrückliche, ernsthafte Wunsch des Getöte ten ist. Wobei ich ausdrücklich betone, dass ich sie mit dieser Darstellung der unterschiedlichen Sichtweisen nicht absichtlich auf eine falsche Fährte locken wollte. Trotz der bisherigen Erkenntnisse und trotz des Haftbefehls hielt ich es noch immer für möglich, dass eine Art Sterbehilfe vorgelegen ha ben konnte. Zumal mir viele der Hintergründe nicht im Detail bekannt waren und erst später ans Licht kamen.
Therese O. saugte meine Worte förmlich in sich hinein. Sie dachte nach, und ich ließ ihr Zeit. Dann war es so weit.
»Ja, ich habe ihm geholfen …«
Therese O. begann heftig zu schlucken, trank vom Wasser, schnäuzte sich und wollte sichtlich den Eindruck erwecken, als sei sie eine Märtyrerin, eine unschuldig Angeklagte, die
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