Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
als böse hingestellt wird, obwohl sie Gutes getan hat.
»Frau O., haben Sie vielleicht Angst, es könnte das, was geschehen ist, falsch ausgelegt werden? Falls ja, darf ich noch anfügen, dass Sie sicher sein dürfen, dass die Gerichte zu differenzieren wissen. Niemand will Ihnen etwas unterstellen. Wir sind nur an der Wahrheit interessiert. Das kann ich Ihnen versprechen.«
Therese O. hielt den Kopf gesenkt. Nach einer Pause, die mir unendlich lange vorkam, sagte sie leise und langsam: »Ja, ich habe ihm ein Kissen auf das Gesicht gelegt und es dann festgehalten, bis er erlöst war.«
Stille im Raum. Niemand sagte etwas. Sie sollte Zeit haben, nachzudenken um sich ihrer Aussage bewusst zu werden. Erst nach einigen Minuten fuhr ich fort und stellte behutsam die nächste Frage.
»Frau O., möchten Sie uns sagen, wie lange es ge dauert hat, bis Sie sicher sein konnten, dass Dr. von W. gestorben war?«
»Höchstens 30 Sekunden.«
»Was war das denn für ein Kissen, gibt es das noch?«
»Ein Kopfkissen, ich habe es danach in die Waschmaschine gesteckt.«
»Können Sie uns sagen, wie fest Sie zugedrückt haben, es vielleicht mal demonstrieren? Das wäre natürlich wichtig.«
»Nicht besonders fest. Er war ja nur noch ganz schwach, fast schon tot. Er befand sich im finalen Stadium, eigentlich schon in der Agonie.«
Sie legte ihre Hand auf meinen Unterarm und drückte zu. Es war nur ein sanfter Druck spürbar, ganz leicht und kurz, der niemals ausreichte, einen Menschen zu ersticken. Da wir uns aber in der Phase der Öffnung befanden, unterließ ich es, ihr irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Sie sollte Gelegenheit bekommen, ihre eigene subjektive Wahrheit vorzutragen.
»Warum haben Sie das getan?«
»Aus Mitleid. Ich konnte es nicht mehr mit ansehen. Er hatte doch so starke Schmerzen. Und ich fühlte mich auch an mein Versprechen gebunden, ihm beim Sterben zu helfen. Er hat mich angefleht, ihn zu erlösen. Ich weiß, das war nicht gesetzmäßig, aber ich bin keine Mörderin.«
Ihre Aussage wurde wörtlich protokolliert, die Vernehmung noch etwa eine halbe Stunde fortgesetzt. Dann kam ihr Anwalt zur Dienststelle. Er nahm den neuen Sachverhalt zur Kenntnis, schau te jedoch sehr misstrauisch, um nicht zu sagen böse, und bestand darauf, mit seiner Mandantin sofort alleine sprechen zu dürfen, was ihm selbstverständ lich ermöglicht wurde. Allerdings war das schriftliche Geständnis zu diesem Zeitpunkt schon von ihr unterzeichnet worden.
Etwa eine Stunde später warf mir der Anwalt vor, ich hätte seine Mandantin »über den Tisch gezogen«. Ich entgegnete ihm, was die Aussage seiner Mandantin betreffe, so gelte noch immer die freie Willensentscheidung der Beschuldigten. Frau O. sei eine selbstbewusste, intelligente Frau, die selbst entscheiden könne, ob und was sie aussagt.
A ls Therese O. vor dem Ermittlungsrichter saß, der ihr den Haftbefehl eröffnete, wurde sie gefragt, ob sie ihre Angaben, die sie vor der Polizei gemacht hatte, aufrechterhalten wolle. Daraufhin ergriff ihr Anwalt das Wort und brachte erregt vor, diese Aussage würde für null und nichtig erklärt, da seine Mandantin vom Vernehmungsbeamten getäuscht worden sei. Der habe ihr die Sache mit der Sterbehilfe in den Mund gelegt, seine Mandantin habe diesen rettenden Strohhalm ergriffen, um den im Haftbefehl formulierten Mordvorwurf entkräften zu können. Es sei nur die Angst vor einer Verurteilung wegen Mordes gewesen, weshalb sie dieses »Angebot« auf mildere Tatbestände annahm und etwas gestand, was gar nicht stattgefunden habe. Zur gegebenen Zeit werde »man« sich zu den Vorwürfen äußern.
Der Ermittlungsrichter sah das anders. Er wertete das Geständnis der Beschuldigten als rechtlich korrekt und wies darauf hin, dass Therese O. die vorsätzliche Tötung eines Menschen gestanden hatte. Darüber hinaus lägen jetzt schon gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich des Mordmotivs der Hab gier vor. Einzelheiten zu klären sei Aufgabe des erkennenden Gerichts. Deshalb bleibe der Haftbefehl bestehen.
D ie Verhandlung vor dem Schwurgericht gestaltete sich schwierig, da Therese O. die Aussage zur Sache verweigerte. Was wir bislang nicht wussten und was erst durch detaillierte ärztliche Gutachten festgestellt wurde: Dr. Roland von W. war gar nicht krank. Er hätte damals nicht sterben müssen und lag auch definitiv nicht im Sterben, als er zu Tode kam. Und er konnte zu keinem Zeitpunkt so starke Schmerzen gehabt haben, dass er all diese
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