Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
Vorgänge als »Zuspitzung der Ereignisse im zeitnahen Vorfeld der Tat«.
Ich bin oft gefragt worden, ob es Mörder gegeben hat, die ich verstehen konnte oder die mir gar sympathisch waren. Ja, es gab sie. Mord ist nicht gleich Mord und Mörder(in) ist nicht gleich Mörder(in). Manch mal empfinden wir es sogar als mutig, wenn Menschen andere Menschen töten. Erinnert sei an Marianne Bachmeier, die 1981 den mutmaßlichen Mörder ihrer Toch ter Anna im Gerichtssaal des Landgerichts Lübeck erschoss und damit nicht nur ein Leben auslöschte, sondern auch die Nation spaltete. Ein Großteil der Öffentlichkeit hatte Verständnis für die Frau, viele hielten deren Handlungsweise sogar für gerechtfertigt. Objektiv betrachtet handelte es sich um einen geplanten und kaltblütigen Mord. Dennoch wurde sie »nur« wegen Totschlags zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil man ihr eine tief greifende Bewusstseinsstörung zubilligte; aufgestaute Emotionen, die schließlich zur Ex plosion beziehungsweise zum Affekt geführt haben (sollen). Viele Bürger empfanden diese Strafe als ausreichend, manche sogar als zu hoch. Moralische Bewertungen beruhen eben vielfach auf rein emotionaler Grundlage. Deshalb habe ich mich auch nie darüber gewundert, wenn mir viele Mütter ganz offen eingestanden, sie würden den Mörder ihres Kindes »ohne mit der Wimper zu zucken« umbringen kön nen. Dabei handelte es sich ausnahmslos um fried fertige, gebildete Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Selbst als ich ihnen zu bedenken gab, dass es leichter gesagt als getan sei, einen Menschen zu töten, und dass es keine Rechtfertigung für eine solche Tat gebe, egal vor welchem Hintergrund, war keine von ihnen willens umzudenken. Alle waren der Meinung, die Tötung des Mörders würde ihnen helfen, einen solchen Verlust zu ertragen und zu verarbeiten.
Mord ist immer böse. Das war zu allen Zeiten und in allen Kulturen so, und das wird auch immer so bleiben. Unterschiedlich ist nur die Sichtweise, wer was, wo und wann für verwerflich, verachtenswert und damit für böse hielt oder hält. Das kann von Zeitalter zu Zeitalter, von Kultur zu Kultur und von Land zu Land verschieden sein. Was wir als Mord definieren, muss anderswo weder juristisch noch moralisch als verwerfliche Tötung eingestuft werden. Man denke nur an das Steinigen von Ehebrecherinnen, das bei uns als barbarische Hinrichtung pures Entsetzen auslöst, während es in manchen Ländern als gottgewollte, gerechte Bestrafung gilt.
Noch heute erinnere ich mich in allen Einzelheiten an die blutige rituelle Ermordung einer 16-jährigen türkischen Schülerin in München durch ihren 30-jährigen Freund in der Wohnung seiner Mutter. Nachdem er das Mädchen durch mehr als 40 Messerstiche hingerichtet hatte, drapierte er das Tatmesser auf einem Blumenstock und umrahmte es mit der Halskette des Opfers: eine Art Altar, der als Zeichen des Sieges über das Böse gedacht war, wie er später vor einem türkischen Gericht erklärte. Nach den Ermittlungen der Münchner Mordkommission handelte es sich bei dem als »böse« bezeichneten Verhalten um die Weigerung des Mädchens, ihm ohne Benachrichtigung und Erlaubnis ihrer Eltern augenblicklich in die Türkei zu folgen, wohin er als gesuchter Drogendealer flüchten wollte. Da sie ihm nicht gehorchte und angeblich sogar mit der PKK sympathisierte, musste sie in seinen Augen mit dem Tod bestraft werden. Tatsächlich kam das türkische Gericht zu dem Ergebnis, es sei nicht besonders verurteilenswert, eine Frau zu töten, die ungehorsam war und auch noch mit den Kurden sympathisierte. Wobei Letzteres zweifelsohne frei erfunden war, da sich das Mädchen definitiv nie für politische Themen begeistert, ge schweige denn engagiert hatte. Leider interessierte sich die türkische Gerichtsbarkeit nicht für unsere de taillierten, aufschlussreichen Ermittlungen, obwohl de ren Einbringen mehrfach angeboten und von den Angehörigen des Mordopfers immer wieder vergeblich gefordert worden war. Das Gericht verurteilte den Mörder wegen eines »minderschweren Falles des Totschlags« zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Abgesessen hat er davon keinen einzigen Tag, weil er zum Strafantritt unauffindbar war und auch niemand nach ihm suchte – zum Leidwesen der Familie des Mädchens, die an dieser tiefen Ungerechtigkeit zerbrach. Der Vater nahm sich nach zweijährigem vergeblichem Kampf um Gerechtigkeit das Leben.
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