Unheil - Warum jeder zum Moerder werden kann Neue Faelle des legendaeren Mordermittlers
Boden?«
»Ja.«
»Wie alt sind Sie?« Der Beamte fragte den jungen Mann erst gar nicht, wie seine Mutter getötet worden war. Es genügte ihm zu wissen, dass es sich um eine blutige Tötungsart handeln musste, denn sonst hätte der Anrufer nicht von »Umbringen« sprechen können.
»Ich bin 21 Jahre alt.«
»Alles klar, wir kommen gleich mit dem Notarzt. Können wir in die Wohnung rein, wenn wir klingeln?«
»Äh, äh, ich werde mich unten in den Hof setzen.«
»Haben Sie einen Schlüssel?«
»Ja, ich werde einen Schlüssel mitnehmen.«
»Haben Sie geschaut, ob sie noch lebt? Der Vater ist noch in der Wohnung, oder?«
»Ja, der ist drüben im Schlafzimmer und schaut fern.«
»Gut, gehen Sie sofort raus, und wenn wir kom men, dann machen Sie bitte die Tür auf, wir sind bald da .«
»Ja, ich warte unten.«
»Gut, Wiederhören.«
D er Beamte am Notruf dachte sofort daran, dass hier Waffen im Spiel gewesen sein könnten. Deshalb alarmierte er gleichzeitig mit den anderen Einsatzkräften das Spezialeinsatzkommando ( SEK ).
Es war richtig, den jungen Mann anzuweisen, sofort die Wohnung zu verlassen und sich vor dem Mörder in Sicherheit zu bringen, der sich offensichtlich eingeschlossen hatte. Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass Täter, die die Kontrolle über sich verloren haben, auch für weitere Anwesende eine Gefahr darstellen können. Obwohl sich in diesem Fall der Täter angeblich ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte und dort vor dem Fernseher saß. Ein so irrationales Handeln ist zwar in solchen Situationen nicht außergewöhnlich, jedoch für Außenstehende meist nur schwer nachzuvollziehen, weil es unlogisch erscheint. Wer bringt seine Frau um und setzt sich dann vor den Fernseher? Entweder psychisch kranke Täter oder solche, die sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befinden. Oft reagieren sie unberechenbar und völlig konfus. Das macht sie manchmal so gefährlich, dass man sie nur noch gewaltsam stoppen kann.
Der Einsatz lief an. In einer Großstadt wie München bedeutet eine Einsatzlage wie diese, dass es keine fünf Minuten dauert, bis die ersten Polizeifahrzeuge vor Ort sind.
Eine 52 -jährige Frau sei von ihrem 64 -jährigen Mann getötet worden, teilte mir der Einsatzleiter mit, vermutlich durch Stichverletzungen. Das war nichts Ungewöhnliches im polizeilichen Alltag einer Millionenstadt, sieht man einmal davon ab, dass der Sohn in der Wohnung gewesen sein soll, als es passierte.
Wieder ein Fall von häuslicher Gewalt mit tödlichem Ausgang und noch dazu in Anwesenheit des eigenen Sohnes, dachte ich auf der Fahrt zum Tatort. Über Funk erreichten mich noch einige ergän zende Informationen, die mich nachdenklich stimm ten; beispielsweise, dass es sich bei der Tatwaffe um ein Samuraischwert handeln könnte. Zumindest habe man in der Abstellkammer der Wohnung ein solches gefunden. Es habe zwar in einer Scheide gesteckt, weise aber frische Blutspuren an der Klinge auf. Ein solches Schwert wäre eine ungewöhnliche Tatwaffe bei einem Beziehungsmord, noch dazu in der Hand eines sich im Rentenalter befindenden Ehemanns.
Ich hatte Mühe, eine Lücke zu finden, in der ich meinen Dienstwagen parken konnte. Es herrschte hektische Betriebsamkeit vor dem Haus in dieser ru higen, nicht besonders vornehmen, aber auch nicht verrufenen Wohngegend im Münchner Westen. Die Tatwohnung befand sich im zweiten Stock links in einem gepflegten Wohnhaus und war Eigentum der Bewohner.
Ein halbes Dutzend Streifenwagen standen mit rotierenden Blaulichtern da, ebenso mehrere Rettungsfahrzeuge und ein Notarztwagen. Uniformierte liefen hin und her, dazu etwa zwei Dutzend Neugierige. Ein Bild, das ich hinreichend kannte: Die Anwohner zeigen sich entsetzt und schockiert darüber, dass »so etwas« hier passieren konnte, obwohl noch niemand wusste, was genau geschehen war. Nur dass Frau Sowieso von ihrem Mann, diesem Ungeheuer, angeblich umgebracht worden sein soll. Das Schreckliche, das man gewöhnlich vor dem Fernseher angenehm schaudernd genießt, wurde plötzlich real und rückte in bedrohliche Nähe, mitten in den eigenen Lebensbereich.
Chaosphase heißt diese erste Zeit nach Entdeckung eines Verbrechens unter uns Ermittlern. Das obligatorische Durcheinander liegt in der Natur der Sache. Es dauert, bis sich die erste Aufregung gelegt hat und alles geordnet abläuft. Je professioneller die Einsatzkräfte agieren, desto kürzer ist die Chaosphase. Aber ganz lässt sie sich nie vermeiden, und so ist es am
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