Unheil
Stunde später verließ Holman die U-Bahnstation
am Trafalgar Square, Hände und Gesicht von Staub geschwärzt, die noch leuchtende Taschenlampe in der Hand.
Die Wanderung durch die finsteren Tunnels war ohne Zwischenfall verlaufen. Die Station St. John's Wood war menschenleer gewesen, obwohl alle Lampen noch brannten. Er
vermutete, daß die Station im Laufe der Nacht aufgegeben
worden war und niemand sich die Mühe gemacht hatte, die
Scherengitter zu schließen oder den Strom auszuschalten.
Eine Tür mit der Aufschrift >Dienstraum< stand halb offen,
und er fand eine große Stablampe mit Gummifassung. Er
hatte keine Ahnung, ob der Fahrstrom ausgeschaltet war
und hielt sich von den in Kniehöhe verlaufenden, halb abgedeckten Fahrleitungen fern, mußte sie aber bei Weichenanlagen außerhalb der Station mehrmals übersteigen und
hätte sich dabei wohler gefühlt, wenn er sicher gewesen wäre, daß sie nicht mit tödlichem Starkstrom geladen waren. Glücklicherweise waren die vereinzelten schwachen Deckenlampen entlang den Tunnels auch eingeschaltet geblieben, und nur im weiteren Verlauf hatte es einige Stellen gegeben, wo die Beleuchtung ausgefallen war. Die Stationen
waren voll von eingedrungenem Nebel, wenn er hier auch
weniger dicht zu sein schien, und sogar über die Gleise zogen da und dort dünne Schleier. Einmal hörte er gedämpfte
Stimmen im Tunnel, schaltete seine Lampe aus und wartete
im Dunkel, bis sie sich in der Ferne verloren. Seine Hauptsorge war, daß ein Zug durch den Tunnel auf ihn zugedonnert käme, eine Angstvorstellung, die abzuschütteln ihm schwerfiel. Selbst die schwarzen, huschenden Gestalten
aufgescheuchter Ratten störten ihn nicht so sehr wie dieser
Gedanke.
Aber er schaffte es. Die Erleichterung war groß, wieder in
helles Tageslicht zu kommen, so grau es auch war, und beflügelte seinen Schritt. Der Nebel schien etwas weniger
dicht, aber er war nicht sicher, ob es nicht daran lag, daß er
aus der Dunkelheit der Tunnels gekommen war und der
Kontrast zum nebligen Grau seine Augen täuschte.
Ein sonderbares Geräusch zu seiner Rechten ließ ihn aufmerken, ein gleichmäßiges, monotones und irgendwie gespenstisches Gurren. Erst als er sie sah, merkte er, daß es
Tauben waren, Tausende von Tauben, die auf dem Trafalgar Square zu Hause waren. Wurden sie vom Nebel angegriffen? Ihr vieltausendfacher vereinter Ruf war seltsam und
hypnotisch und weckte seine Neugierde. Ungeachtet seiner
Instruktionen, allen möglichen Gefahren auszuweichen,
ging er näher heran, nicht, ohne gleichzeitig nach verdächtigen Bewegungen oder schemenhaften Gestalten Ausschau
zu halten,
Die Tauben waren wie ein dunkelgrauer Teppich vor ihm
über den inneren Platz ausgebreitet. Ihre Zahl war so groß,
daß die Menge der Vögel sich im Nebel verlor und den Eindruck erweckte, daß sie den gesamten Platz völlig bedeckte.
Dann und wann flatterte ein Tier auf, um schon nach wenigen Metern wieder auf den Rücken der anderen zu landen und
sich zwischen sie zu drängen. Sie schienen frei von
Angst; Holman bemerkte keine Nervosität an ihnen, keine jähen Bewegungen außer in Fällen, wo einzelne von ihren Plätzen gedrängt wurden und sich einen neuen suchen mußten.
Und unaufhörlich durchdrang das tiefe Gurren die vergiftete
Luft, unheimlich und unwiderstehlich. Plötzlich bemerkte Holman, daß höhere Schatten aus dem Teppich der Vogelkörper ragten, die geisterhaft verschwommenen Umrisse
von Menschen, die still und völlig bewegungslos standen. Er zog sich zurück. Etwas bahnte sich an. Er spürte es. Sein Blick wich nicht von den Vögeln, bis der Nebel sie
vor ihm verhüllte, und dann erst drehte er um und ging
schnell weiter. Er konnte sich vorstellen, daß eine jähe Bewegung einer der Personen, die unter den Tauben standen
und es mußten ziemlich viele gewesen sein, denn er hatte
in seinem eingeschränkten Gesichtskreis fünf gezählt — die
Masse der Tauben zu Schreckreaktionen verleiten würde.
Ob sie dann angreifen würden oder nicht, vermochte er
nicht zu beurteilen, aber der Instinkt riet ihm, es nicht darauf ankommen zu lassen.
In der Hoffnung, daß er den richtigen Weg eingeschlagen
hatte, eilte er weiter. Der Umstand, daß er hier auf dem
Platz in einer Art Niemandsland zu sein schien, ohne Bordsteinkanten und Gebäude, die als Wegweiser dienen konnten, verstärkte seine innere Unruhe. Wenn sein Richtungsgefühl stimmte, mußte Whitehall vor ihm sein, der Strand
zur
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