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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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Linken und die Mall zur Rechten; er war am Ausgangspunkt all dieser Straßen.
    Bevor er ihn zu sehen bekam, hörte er den Wagen. Der
    Motor brüllte, die Reifen kreischten, und das gab Holman
    glücklicherweise genug Zeit, die nahende Gefahr zu erkennen. Er blieb still stehen und versuchte, durch das Gehör
    festzustellen, welche Richtung der Wagen nehmen würde.
    Die Geräusche kamen vom Strand her und aus dem Kreischen der Reifen konnte er schließen, daß der Fahrer in verrückten Schlangenlinien von einer Seite der Straße zur anderen kurvte. Und dann war er nicht mehr als zwanzig Schritte
    von ihm entfernt und fegte durch den Nebel wie ein Dämon aus der Hölle.
    Er stand starr vor Schreck, denn obwohl er mit dem Auftauchen des Fahrzeugs aus dem Nebel rechnen mußte, hatte
    die Plötzlichkeit seines Erscheinens eine beinahe lähmende
    Wirkung auf ihn. Sein Überlebensinstinkt half ihm über die
    Schrecksekunde hinweg und setzte seine Beine in Bewegung, als das Auto, ein hellroter Sportwagen, nach einer
    kreischenden Kehre zurückgebraust kam und mit einem
    Kotflügel die Seite seines Beines so streifte, daß er wie ein
    Kreisel um seine Achse gedreht wurde und auf die Straße
    fiel. Im Augenblick der Begegnung hatte er das Gesicht des
    Fahrers gesehen: Es war ein Mann mittleren Alters, nackt —
    wenigstens von der Mitte aufwärts — und dick, ein wahnsinniges Grinsen im Gesicht; neben ihm eine ebenso nackte
    Frau, auch fett und in mittleren Jahren, sie stand neben dem
    Fahrer, ließ ihre großen Brüste über die Windschutzscheibe
    hängen und kreischte und lachte.
    Holman lag auf der Straße, unverletzt, aber benommen,
    und sah dem im Nebel verschwindenden Wagen nach. Als
    er sich gerade auf ein Knie erhoben hatte, hörte er langgezogenes Quietschen blockierter Reifen, Stille — und dann das
    schrecklich dumpfe Geräusch des Aufpralls, als der Wagen
    auf ein Hindernis stieß. Darauf folgte brausendes Klatschen
    von Tausenden von Flügeln, und das Gurren wurde zu einem vielstimmigen schrillen Ruf, als die Tauben alle miteinander in die neblige Luft aufflogen. Menschliche Schreie
    schienen sich in das Geräusch der Vögel zu mischen, und
    Holman glaubte zu wissen, was geschah: Die Tauben griffen
    an.
    Er stand auf und zog das Hosenbein hoch, um sein Bein
    zu untersuchen. Später würde sich sicher ein böser Bluterguß entwickeln, aber es gab keine offene Verletzung. Im Bewußtsein der wirklichen oder eingebildeten Gefahr hinter
    ihm lief er leicht hinkend weiter, überzeugt, daß, wenn nur
    ein Vogel ihn fände, andere bald folgen würden.
    Er dankte Gott, als er die Bordsteinkante und den Gehsteig fand, und dankte ihm wieder mit lauter Stimme, als er entdeckte, daß er in Whitehall war. Der Rest des Weges zur Westminster Bridge war nebelhaft und unwirklich, eine Fantasie von Geräuschen und plötzlichen Erscheinungen, die auftauchten und genauso abrupt wieder verschwanden. Später erinnerte er sich, daß viele Menschen an ihm vorbei dem Geräusch zugeeilt waren, wie Lemminge auf dem Weg zur Selbstzerstörung; ein Großbrand zu seiner Rechten (er hatte keine Ahnung, welches Gebäude es gewesen war, berühmt oder nicht); zwei weitere Wagen, die sich, auf gleicher Höhe nebeneinander fahrend, ein Rennen lieferten und einander dabei fortgesetzt seitwärts rammten; eine Gruppe von Leuten, die zu Füßen des Kriegerdenkmals in ein Handgemenge verwickelt waren. Ihm bedeutete dies alles nichts; er trachtete nur danach, einen sicheren Ort zu erreichen, und die einzige Sicherheit, die sich finden ließ, würde bei geistig gesunden Menschen sein.
    Endlich fand er die gesuchte Kreuzung. Die Brücke war
    direkt vor ihm. Aber auch die religiösen Wirrköpfe.
    Ehe er sich zurückziehen konnte, sah er sich schon unter
    ihnen. Er hatte sie oft in London gesehen, wie sie herumgezogen waren, gekleidet in lange, safrangelbe Gewänder, mit
    rasierten Köpfen, und ihre monotonen Litaneien zur mißtönenden Begleitung von rasselnden Handtrommeln gesungen hatten, und immer in ihrem eigentümlich hüpfenden
    Tanzschritt. Insgeheim hatte er sie stets mit einer gewissen
    erheiterten Zuneigung betrachtet, denn es war eine einnehmende Frische und Freundlichkeit an ihnen, und ihre Religion schien harmlos und glückverheißend. Jetzt aber sahen
    sie unheimlich aus.
    Sie saßen in einem weiten Kreis am Boden, und er war
    unversehends in diesen Kreis hineingeraten.
    »Willkommen, Bruder!« Einer von ihnen, der in der Mitte gestanden und den

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