Unheil
Eine
Straßenorgie!«
»Wahrscheinlich fing sie mit einem Paar an, und andere
folgten einfach ihrem Beispiel.«
»Aber da sind einige darunter, die an die siebzig sein
müssen.«
»Und andere scheinen noch Kinder zu sein.«
»Was tun wir?« fragte Mason und riß seinen Blick von
dem Schauspiel los, um Holman anzusehen.
Holman lächelte dünn, befriedigt über die plötzliche Verblüffung seines Begleiters. Masons Ruhe während der ganzen Unternehmung hatte ihn schon lange gestört.
»Nun, wir folgen nicht ihrem Beispiel«, sagte er. »Natürlich fahren wir einen Umweg.«
Er wendete das Fahrzeug und fand eine schmale Seitenstraße. Als er davonfuhr, reckte Mason den Kopf, um das
Schauspiel so lange wie möglich betrachten zu können und
verfluchte den Nebel, der bald alles verhüllte.
»Unglaublich«, sagte er.
Holman fuhr weiter in eine breitere Straße, um wieder die
ursprüngliche Richtung einzuschlagen. Sie waren auf dieser
Straße kaum fünfzig Meter gefahren, als er auf die Bremse
trat und das Fahrzeug mit einem Ruck anhielt.
»Was ist los?« fragte Mason, der seine Instrumente überprüft hatte, erschrocken.
»Da«, sagte Holman und zeigte nach vorn.
Mason spähte mit zusammengekniffenen Augen in den
Nebel. Er hörte ihre Schreie, bevor er das Mädchen sehen
konnte. Es sah nicht älter als achtzehn aus und stand mit
dem Rücken an einer Haustür. Selbst aus der Distanz konnten sie sehen, daß ihre Augen schreckgeweitet waren, und
ihre Schreie gellten aus den Lautsprechern ins Innere des
Fahrzeugs.
Zwei stämmige Kerle rückten gegen das Mädchen vor,
beide in zerlumpten Kleidern und grinsend. Ihre Gesichter waren dunkel von Schmutz, was ihnen ein noch bedrohlicheres Aussehen verlieh. Am erschreckendsten aber war, daß beide ihre Hosen geöffnet hatten, während sie dem schreienden Mädchen Obszönitäten zuriefen und ihr klarmachten, was sie gleich mit ihr tun wollten. Sie stand an der Tür — ob sie auch den Verstand verloren hatte, war nicht zu erkennen —, schrie und wimmerte und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, wie um sich vor dem Anblick zu
schützen.
»Großer Gott«, sagte Holman.
»Hören Sie, wir können nicht aussteigen. In diesem Anzug würde ich Ihnen keine Hilfe sein. Und Sie sind zu wertvoll, um Ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und wenn wir jedesmal anhielten, wenn wir Leute in Bedrängnis sehen,
werden wir nie zum Ziel kommen.«
»Seien Sie still«, sagte Holman, ohne die Stimme zu erheben. Er trat das Gaspedal durch, und das Fahrzeug beschleunigte mit einem Ruck. Holpernd überfuhr es die
Bordsteinkante und jagte auf die beiden Männer zu, zwei
Räder auf dem Gehsteig, zwei auf der Straße. Die beiden
hatten noch Zeit, den Wagen kommen zu sehen, und ihre
grinsenden Gesichter verzogen sich gerade erst in jäher
Angst, als der Wagen sie traf. Einer geriet unter die Räder,
der andere wurde durch die Luft geschleudert und gegen
den erbarmungslosen Beton eines Gebäudes geschmettert.
Ihre kurzen Schreie und der längere, schrillere Schrei des
Mädchens hallten noch in Holmans Kopf nach, als sie schon
verstummt waren. Er brachte das Fahrzeug kreischend so
abrupt zum Stillstand, daß der verblüffte Mason vorwärts
auf seine Instrumente geworfen wurde. Holman wandte
sich um, spähte durch die rückwärtigen Sehschlitze und sah
gerade noch, wie das Mädchen in den Nebel davonlief, die
Hände in dem Bemühen, das Grauen fernzuhalten, noch
immer vor dem Gesicht.
Der zermalmte Körper eines Mannes lag leblos auf dem
Gehsteig, der andere am Fuß der Hauswand, gegen die er
geschleudert worden war, den Hals verrenkt, so daß die offenen Augen dem Wagen, der ihm solch einen schrecklichen Tod zugefügt hatte, nachzustarren schienen.
Holman wandte sich wieder nach vorn, beugte sich über
das Lenkrad und rieb sich die Augen, dann starrte er erschöpft vor sich hin.
Mason richtete sich auf und legte Holman tröstend eine
Hand auf die Schulter. Holman blickte auf, schaltete den
Gang ein und fuhr wortlos weiter die Straße hinunter. Allmählich wurden sie abgestumpft gegen neue Schreckensbilder und Zwischenfälle, gleich welcher Art. Der Anblick einer älteren Frau, die den quer über einem Kinderwagen hängenden Leichnam eines Mannes die Straße entlangschob, eine aus dem Kinderwagen rinnende Blutspur zurücklassend, regte sie kaum mehr auf. Drei Männer, die am
Straßenrand saßen und aus einem Gefäß tranken, das wie
ein Paraffinkanister
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