Unheil
aussah, und dem vorbeifahrenden Wagen mit schmutzigen Taschentüchern zuwinkten, beachteten sie nicht. Für Holman war nur die Tatsache schrecklich,
daß er gerade andere Menschen getötet hatte; es gab keine
größere Schuld, als vorsätzlich anderen Menschen das Leben zu nehmen, ob sie verrückt waren oder nicht. Reue hatte noch nicht eingesetzt, aber der Ekel vor der Handlung.
Weil er unter Zwang stand, solch eine Maßnahme zu ergreifen, war seine Entschlossenheit, Mittel und Wege zur Vernichtung des Krankheitserregers zu finden, stärker denn je.
Für Mason war es die bloße Gewöhnung an die in rascher
Folge sich ereignenden seltsamen und schrecklichen Geschehnisse, denn Gewöhnung ist der zuverlässigste Verbündete der Akzeptanz.
Die Szenen waren für sie nicht unwirklich, aber sie hatten
sich in ihrem abgeschlossenen Fahrzeug von den Geschehnissen in der Außenwelt distanziert, waren zu bloßen Beobachtern geworden, die sich durch eine eigenartige, wolkige
Welt bewegten, wie Forscher in einem Tauchboot im Meer. Von Zeit zu Zeit machte Mason dem Hauptquartier Meldung und beschrieb mit kalter Sachlichkeit die Szenen, die
sich ihnen darboten: die Brände, die Verwüstungen, die
Vernichtung von Menschenleben. Plötzlich bat er Holman,
anzuhalten. Holman hatte keine Ahnung von ihrem genauen Standort, vermutete jedoch, daß sie inzwischen in der
Nähe der Docks des Londoner Ostens waren. Er warf seinem Begleiter einen Seitenblick zu.
»Wir haben es verloren«, sagte Mason. Wieder überprüfte
er seine Instrumente, schaltete dann das Funkgerät ein und
gab in dringendem Ton eine Meldung durch.
»Wie können wir das Zentrum verloren haben?« fragte
Holman.
»Wir werden von einem Hubschrauber geleitet, der über
dem Nebel fliegt«, sagte Mason. »Er hat Sensoren an Bord,
die das Zentrum der Mykoplasmen orten; die Information
wird an das Hauptquartier durchgegeben, das uns die Richtungsangaben macht. Es muß so kompliziert sein, weil der
Hubschrauber durch den Nebel nicht sehen kann, über welchem Gebiet er ist. Aber im Moment geschieht gar nichts;
der Richtungsfinder macht keine Angaben.«
Eine Stimme kam aus den Lautsprechern und dröhnte in
dem kleinen Innenraum: »Hallo, K1, hier wieder Hauptquartier. Können Sie mich empfangen?« Mason bestätigte,
und die metallische Stimme fuhr fort: »Ich fürchte, es gibt
Schwierigkeiten. Charlie 2 sagt, sie haben das Zentrum verloren. Die Instrumente zeigen nichts an, und sie müssen
den Bereich absuchen, bis sie es wiederfinden. Wir können
nicht sagen, wie es geschehen ist, es sei denn, das verdammte Ding ist in den Fluß gefallen — Sie sind in der Nähe
—, aber das ist kaum wahrscheinlich. Bitte warten Sie eine Weile, bis Sie weitere Anweisungen erhalten. Wird nicht
lange dauern, da bin ich ganz sicher. Ende.«
Mason lehnte sich in seinen Sitz zurück. »Meine Fresse«,
sagte er. »Aber wir müssen nahe daran sein.«
»Meinen Sie, daß sie es wiederfinden werden?« fragte
Holman.
»Wer weiß? Sie haben es schon einmal verloren.« Er blickte nervös umher in die nebelverhüllte Straße. »Ich muß sagen, es gefällt mir nicht sehr, so auf offener Straße zu stehen.«
»Mir auch nicht«, stimmte Holman zu. »Es ist zu gefährlich. Fahren wir an ein Gebäude heran, das wird uns wenigstens etwas Schutz geben.«
Er fuhr langsam weiter, zum Rand der breiten Straße und hielt Ausschau nach einem Gebäude, das ihnen einigen Schutz geben konnte.
In diesem Augenblick tauchte der Bus wie ein riesenhaftes rotes Ungeheuer aus dem Nebel auf. Seine Scheinwerfer
erschienen einen Sekundenbruchteil vorher wie zwei glühende, suchende Augen. Die Frontseite war mit dunklerem
Rot bespritzt, dem Blut der zahlreichen Opfer, die er im Verlauf seiner wilden Fahrt angefahren hatte. Er machte eine
Seitenbewegung auf ihr Fahrzeug zu, und Holman, der die
Absicht des Fahrers erriet, trat aufs Gaspedal, um der Kollision auszuweichen, aber er kam zu spät.
Der Bus traf ihr Fahrzeug seitlich am Heck, sie fühlten
sich mit einem Ruck emporgehoben, als das Katastrophenfahrzeug in die Luft gestoßen und dann aufs Dach geworfen
wurde. Die graue Welt wurde auf einmal schwarz.
Zum zweitenmal an diesem Morgen hatte Janet Halstead einen Schwindelanfall und mußte sich festhalten. Sie war
zum Umfallen erschöpft. Der wenige Schlaf, den sie während der vergangenen Tage gefunden hatte, war unruhig
und gestört gewesen, und die letzte Nachtruhe war von der neuen,
Weitere Kostenlose Bücher