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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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Zweimal mußte er auf den Bürgersteig fahren, um wildgewordenen Autofahrern auszuweichen, und einmal hatte er vorsätzlich einen Hund überfahren, der Leute angegriffen hatte, aber dies war das einzige Mal gewesen, daß er sich eine Einmischung in die chaotischen Vorgänge erlaubt hatte, und auch das nur, weil der Hund ihm vor den Wagen geraten war. Inzwischen hatte er eine innerliche Distanz zu den alptraumhaften Ereignissen gefunden und war ein bloßer Beobachter geworden. Er wußte, daß es der Selbsterhaltungstrieb seines Nervensystems war: Er hatte immer diese Fähigkeit (oder vielleicht das Unglück) gehabt, seine Gefühle zurückzudrängen und sich in kalte Absonderung zurückzuziehen, wann immer die äußeren Umstände unerträglich wurden. Er konnte sich entweder in Aktivität flüchten oder in absolute Teilnahmslosigkeit zurückziehen; es war nicht Hartherzigkeit, denn nach der Gefahr überfluteten ihn unweigerlich die zurückgedrängten Emotionen. Es war eine natürliche Überlebensfähigkeit.
    Er empfand kein starkes Mitgefühl für die Menschen dort draußen; seine Empfindungen waren mehr der Furcht verwandt. Es war seltsam, daß Wahnsinn, der schließlich nur eine Krankheit des Geistes war, dem >normalen Menschen< so abstoßend erschien. Lag es an der Furcht vor andersartigem Verhalten? War es eine gesunde Reaktion eines starken Naturinstinkts, der bestrebt sein mußte, abartiges Verhalten durch Ausschließung seines Trägers aus der Gruppe an Verbreitung und Vererbung der Geisteskrankheit zu hindern? Sogar bei Casey hatte er, als die Tobende angeschnallt liegen mußte, die instinktive Abneigung gespürt, den Drang, ihr den Rücken zu kehren und sie aus seinen Gedanken auszuschließen, und sie mußte ähnlich empfunden haben, als er Opfer der Geisteskrankheit gewesen war. Dieser Urinstinkt mußte es sein, was Wahnsinn für die Angehörigen und Freunde der Opfer so grausam machte: die Furcht und Abneigung gegen die Person, die sie geliebt hatten. Und jetzt wimmelte die ganze Stadt von Verrückten.
    Gleichwohl war er nicht völlig unbeteiligt. Er empfand immer wieder Mitleid, vor allem, wenn er die Kinder sah, darunter Kleinkinder von zwei oder drei Jahren, die ziellos durch die Straßen gingen, viele mutterseelenallein, noch in Schlafanzügen und Nachthemden, und mit dem verlorenen, betäubten Ausdruck in ihren kleinen Gesichtern. Dieser Anblick konnte ihn nicht kalt lassen. Er wollte ihnen helfen, sie einsammeln und in Sicherheit bringen, vor Schaden bewahren, bis Hilfe käme, aber es lag auf der Hand, daß ihnen mit der Ausführung seines Planes am besten geholfen wäre.
    Die Idee war einfach: das mutierte Mykoplasma war viele Jahre unter der Erde eingesperrt gewesen, unter Tonnen von Erde; nun war es zu einem anderen unterirdischen Zufluchtsort zurückgekehrt, einer von Menschen geschaffenen Öffnung, die zu einem Gefängnis gemacht werden konnte, wenn beide Tunnelöffnungen versiegelt würden. So war er zum Katastrophenfahrzeug zurückgekehrt und hatte zu seiner Erleichterung gesehen, daß niemand es angezündet oder seine Einrichtungen zerstört hatte; das Funkgerät summte noch immer (in Abständen von zehn Minuten hatte eine Stimme Durchsagen gemacht, und die zwei Insassen des Fahrzeuges verzweifelt um Antwort gebeten), und er hatte die Funkverbindung genutzt, um das Hauptquartier über die Entdeckung und seinen Plan zu unterrichten. Beim Klang seiner Stimme hatte es große Aufregung und Erleichterung gegeben. Die Männer am anderen Ende waren Fachleute und hatten seine Instruktionen bald verstanden. Er forderte hochbrisanten Sprengstoff an, wie er in Steinbrüchen und bei Gebäudesprengungen verwendet wurde. Für den Fall, daß die ersten Versuche fehlschlagen sollten, hatte er verlangt, daß so viel Sprengstoff in das zweite Katastrophenfahrzeug verladen würde, wie es fassen konnte, und dazu einen Sprengmeister, weil seine eigenen Kenntnisse auf diesem Gebiet äußerst begrenzt waren. Er nannte ihnen seinen Aufenthaltsort, denn auf dem Rückweg zu dem Fahrzeug hatte er sich die Straßennamen eingeprägt; sie würden ihn und das umgeworfene Fahrzeug in der East India Dock Road finden, unweit der Einmündung der Haie Street. Er hatte sie aufgefordert, sich zu beeilen.
    Die Stimme am anderen Ende hatte ihn um Geduld gebeten und angewiesen, er solle in Sichtweite des Fahrzeugs bleiben, ganz gleich, wie lange sie benötigen würden, und sich nicht in Gefahr begeben. Sollte er angegriffen werden,

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