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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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blindlings nach dem anderen und traf dessen Kinnlade. Sein Fuß trat auf das Bremspedal, daß die Reifen kreischten. Er glaubte schon, der Wagen müsse auf der anderen Straßenseite in eine Häuserfront krachen, aber zu seiner Überraschung und Erleichterung fand er die Bahn frei, denn direkt vor ihm mündete eine Seitenstraße ein. Sie führte mit mäßigem Gefälle abwärts, und der Wagen kam endlich quer zur Fahrtrichtung zum Stehen. Der plötzliche Stoß warf den Mann vorwärts gegen die Windschutzscheibe, und ehe er zur Besinnung kommen konnte, hatte Holman an seinem Rücken vorbeigegriffen und die Tür aufgestoßen. Mit derselben Bewegung stieß er den Mann aus dem Wagen und auf die Straße, half mit dem Fuß nach, um die Beine des Mannes hinauszubringen. Die leichte Schräglage des Wagens auf der Gefällstrecke erleichterte seine Bemühungen, und im Nu lag der Mann draußen. Holman sah den Kopf der Frau mit seinen scheußlich stieren Augen langsam die Gefällstrecke hinunterrollen.
    Ohne sich Zeit zu nehmen, die Tür wieder zuzuziehen, startete er den abgewürgten Motor, zog den Wagen herum und fuhr die Gefällstrecke abwärts, knapp an dem Kopf vorbei, der mitten auf der Fahrbahn zum Stillstand gekommen war. Er korrigierte die Fahrtrichtung, und mit der Beschleunigung des Wagens schwang die Tür auf der anderen Seite von selbst zu. Er wollte nicht anhalten; er wollte nicht denken. Er wollte nur auf und davon.
    Ein schwarzes Loch gähnte vor ihm, und auf einmal sah er sich von Dunkelheit umgeben. Wieder trat er auf die Bremse, und der Wagen hielt quietschend. In Panik blickte er umher, konnte aber vorn und zu beiden Seiten nur Schwärze sehen. Er erinnerte sich des enthaupteten Leichnams im Auto und wandte sich halb zurück, wie um sich zu vergewissern, daß er noch immer leblos dalag. Graues Licht drang von einem hohen und breiten Bogen ungefähr dreißig Schritte hinter ihm herein, und er sah, daß der Leichnam in den Fußraum hinter den Vordersitzen gerutscht war. Er blickte wieder in das graue Licht und verstand allmählich, was geschehen war. Er war in einen Tunnel gefahren! Er hätte es gleich merken müssen, aber wegen der Umstände schien ihm alles, was geschehen war, unwirklich und abnorm.
    Ein Tunnel! Und auf einmal wußte er auch, welcher Tunnel.
    »Der Blackwall-Tunnel«, sagte er laut. Er mußte es sein; sie waren in diese Richtung stadteinwärts gefahren, durch Aldgate die Commercial Road in Richtung Poplar. Die Straße, die er gerade heruntergefahren war, mußte die Rampe sein, die von der Hauptstraße in den Tunnel führte. Dieser erstreckte sich unter der Themse zum Süden Londons und ersparte den Autofahrern, die andernfalls entfernte Brücken benutzen müßten, kilometerweite Umwege auf verstopften Straßen. Es waren tatsächlich zwei Tunnels, die parallel zueinander verliefen, aber vollständig getrennt waren; der alte, um 1890 erbaut, und der neue, um 1968 vollendet, einer für den nach Norden gerichteten Verkehr, der andere für die Gegenrichtung. Holman war im alten Tunnel, der für die Fahrt nach Norden gedacht war. Er brauchte nur weiterzufahren, um nach Westminster zu gelangen, und von dort konnte er dem Flußufer folgen. Eine Minute lang überlegte er, ob er zu seiner Wohnung fahren, Casey mitnehmen und sich aus London davonmachen solle, doch ließ er den Gedanken schließlich fallen, weil er wußte, daß er in Wirklichkeit keine Wahl hatte.
    Ehe er aber zum Hauptquartier zurückfuhr, mußte er sich der grotesken Gestalt am Wagenboden entledigen. Er öffnete die Tür und stieg aus, klappte die Sitzlehne auf der Fahrerseite vor, um den Leichnam zu erreichen. Er hätte die Scheinwerfer einschalten können, um mehr Licht zu bekommen; der trübe Schein von der Tunnelöffnung schien ihm jedoch für seinen Zweck ausreichend. Er tastete umher, bis er die gebundenen Knöchel fand und zog an dem Körper, der überraschend leicht war und sich ohne stärkeren Widerstand herausziehen ließ. Er vermied es, etwas anderes als die Knöchel der Frau zu berühren; die Vorstellung, mit ihren kopflosen Schultern in Berührung zu kommen, verursachte ihm Übelkeit. Er schleifte den Körper zur Seite des Tunnels, dann richtete er sich auf und rieb die Hände an seiner Jacke, ab, um das Gefühl von ihrem erkalteten Fleisch loszuwerden. Er schaute tiefer in den Tunnel hinein, stutzte und blinzelte mit den Augen.
    War es Einbildung, oder gab es dort unten eine Helligkeit? Der Tunnel war vernebelt, aber sehr

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