Unheil
damit zufrieden geben würde, sie um ihrer selbst und nicht um ihres Körpers willen zu lieben.
Er war so bestürzt gewesen, daß er nicht einmal versucht hatte, sie umzustimmen.
Und an diesem Morgen hatte er eine seltsame Erleichterung verspürt, gerade so als ob eine schwere Bürde von ihm genommen wäre. Er war frei. Nicht er würde sie verlassen, sondern sie ihn. Er brauchte sich nicht zu sorgen, daß sie wegen der Trennung zusammenbrechen würde; im Gegenteil, sie würde jetzt glücklich sein. Vielleicht war es das gewesen, was ihn all diese Jahre an sie gebunden hatte: nicht Liebe, aber die Furcht, sie zu verletzen, nachdem sie bereits so viel gelitten hatte. Er brachte es sogar über sich, nach dem Mann zu fragen. Wer war er? Kannte er ihn? War er verheiratet? Was machte er? Er fragte ohne Bosheit, ohne einen Gedanken rechtschaffener Empörung, und sie fühlte es und beantwortete seine Fragen. Er hieß Kevin Joe konnte sich an den Nachnamen nicht erinnern — nein, er hatte ihn nie gesehen, er war geschieden und Radaringenieur von Beruf. Sie hatte ihn in London kennengelernt, während Joe auf einem seiner Flüge außer Landes gewesen war. Sie hatten einander schon früher gekannt, noch vor Joes Zeit, aber dann aus den Augen verloren. Sie traf ihn zufällig bei einem Einkaufsbummel, vor einem Geschäft in der Tottenham Court Road. Er hatte gerade Mittagspause gehabt und sie eingeladen, mit ihm zu essen. Sie war darauf eingegangen.
Kevin hatte ihr von seiner Scheidung vor drei Jahren erzählt, sie aber hatte wenig von ihrer Ehe mit Joe gesprochen. Am Ende der gemeinsamen Mahlzeit fühlten sie ein Einverständnis und einen inneren Gleichklang miteinander, wie keiner von beiden es seit Jahren erlebt hatte. Er erzählte ihr stolz von dem neuen Anwendungsgebiet, auf dem er in der Radarentwicklung arbeitete, und daß er zur Zeit im großen Turmhaus des Londoner Hauptpostamtes stationiert sei, und versprach ihr, daß er, wenn sie am nächsten Tag wiederkommen wolle, eine private Führung durch das fantastische Gebäude für sie veranstalten würde.
Sie brach ihr Versprechen, aber sechs Tage später, als Joe wieder fort war, rief sie Kevin in seinem Arbeitszimmer im Turmhaus an und verabredete sich mit ihm. Das lag inzwischen sechs Monate zurück, und seither waren ihre Empfindungen füreinander gewachsen und so stark geworden, daß weder sie noch er länger getrennt voneinander leben wollten.
Sie war überrascht, als Joe sie anlächelte und ihnen beiden Glück wünschte. War es wirklich so einfach, zehn Jahre Ehe zu beenden?
Joe hatte das Haus verlassen und war zum Flughafen Heathrow gefahren, und unterwegs hatte der dumpfe Kopfschmerz erfolgreich alle Gedanken an seine gescheiterte Ehe aus seinem Bewußtsein vertrieben. Er unterließ es, wegen des Kopfschmerzes den Flughafenarzt aufzusuchen, da er nur eine unbedeutende und vorübergehende Störung seines Wohlbefindens darin sah.
Die 747 rollte schwerfällig zu der zugewiesenen Startbahn und nahm ihren Platz in der Schlange hinter den anderen wartenden Maschinen ein. Der Jumbo, über dreihundertfünfzig Tonnen schwer und, obschon nicht voll beladen, mit annähernd dreihundert Passagieren an Bord, zitterte unter der gebändigten Kraft seiner Triebwerke.
Ennard wischte sich die feuchte Stirn, während er auf die Starterlaubnis vom Kontrollturm wartete. Wie immer war es eine Erleichterung, als die Durchsage kam. Der Schub der vier großen Triebwerke drückte ihn in den Sessel zurück, und der Jumbo rollte die Startbahn entlang, beschleunigte von Sekunde zu Sekunde. Nach achtzehnhundert Metern konnte er die Nase langsam hochziehen und das Gewicht auf die vier Hauptfahrwerke verlagern. Dann hob das riesige, plumpe Ungeheuer ab und gewann Höhe, ein tolles Schauspiel und ein Triumph menschlicher Technik.
Die Besatzung atmete auf, als die 747 eine Schleife um den Flugplatz zog, um Höhe zu gewinnen. Es gab immer diesen Augenblick der Anspannung, wenn sie sich fragte, ob der Koloß aufsteigen oder zurückfallen und am Boden zerschellen werde, obwohl jahrelange Erfahrung dafür sprach, daß letzteres nicht eintreten würde.
Miller, der Kopilot, grinste zu Ennard herüber. »New York City, wir kommen. Und Beryl, Schätzchen, ich werde dich fliegen!« Er lachte über seinen Scherz. Beryl arbeitete bei einer anderen Luftlinie als Stewardeß; er hatte sie auf dem John F. Kennedy-Flughafen kennengelernt. Der überstrapazierte Wahlspruch ihrer Gesellschaft belustigte ihn
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