Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien
strahlend!“, antworte ich, erleichtert diese befreiende Botschaft aufnehmend.
Ich danke César herzlich für das wohltuende Gespräch und verabschiede mich von ihm, da ich in die Pilgerkapelle an der Herberge gehen will, um zu meditieren, oder um mich einfach der Stille zu überlassen. In meinem Kopf kommt der Bienenschwarm langsam zur Ruhe und ich überlasse mich dankbar der besonderen Atmosphäre. Ich fühle mich endlich ruhig und beruhigt.
Lina, Timo, Hermann und ich gehen gemeinsam essen, dann trennen sich unsere Wege. Das ist jedes Mal ein bisschen wie eine Familie verlieren.
Doppelt einsam
Wieder einmal bin ich die letzte Pilgerin, die die Herberge verlässt. Kräftig schreite ich aus. Burgos ist wunderschön am Rio Arlanzón gelegen und mir gefällt die üppig bepflanzte Promenade. Ich habe auch heute keine Lust, mich intensiv mit den Kunstschätzen in Burgos zu beschäftigen . Es gibt viele Kulturdenkmäler auf dem Weg zu bestaunen, aber nicht immer bin ich dafür offen. Zu viel habe ich mit mir selbst zu tun, mit meinen Gedanken, die hier unter den Ausnahmebedingungen verschlungene Wendungen vollziehen. Nach Burgos wirkt die menschenleere Landschaft doppelt einsam. Der Weg erscheint mir heute trist und sogar die Hügelkuppen sind grau in grau. Und schon wieder dieser kalte Wind. Ich bin knatschig. Schon am frühen Nachmittag komme ich in dem gottverlassenen Dorf Hornillos del Camino an. Heute waren es nur sechs Stunden zu laufen. Es ist todeslangweilig in dem Kaff. Weitergehen kommt auch nicht infrage, denn meine Beine sind schon schwer. Ich habe das Gefühl, dass sich die Anstrengung der gelaufenen 400 Kilometer langsam bemerkbar macht. Und dieses einsame Dorf gefällt mir einfach nicht. Das Alleinsein-Gefühl wird dadurch verstärkt, dass meine letzte „Pilgerfamilie“ sich zerstreut hat. Hermann bleibt in Burgos, um einen Arzt aufzusuchen. Lina fährt zurück nach Hause, Timo hat sich einer anderen Gruppe angeschlossen, Bertl bleibt zwei Tage in Burgos und macht in Kultur und wo „mein Sohn“, der junge Leandro abgeblieben ist, weiß ich nicht. „Meine“ Lilly-Marleen vermisse ich auch schon länger.
Langsam trudeln die Pilger in der Herberge ein. Von Irina, einer Schweizerin, erfahre ich, dass sie Lilly-Marleen und Heinzi getroffen habe und dass Lilly-Marleen ziemlich fertig sei, aber die beiden so richtig verliebt seien. Das ist schön und ich freue mich sehr für die beiden. Es tröstet mich, von Lilly-Marleen zu hören. Ich habe das Gefühl, über den ganzen Weg mit den Pilgern verbunden zu sein. Besonders mit denen, die ich in einem Gespräch näher kennen lernen konnte, aber auch mit denen, die ich noch kennen lernen werde. Hier gibt es keine Fremden. Hier gibt es Menschen, die verbunden sind durch einen uralten Weg und durch den Wunsch nach einer außergewöhnlichen Erfahrung. Wie eine große Familie eben. Und in einer Familie gibt es auch Verwandte, die einem nicht so liegen, und doch gehört man irgendwie zusammen. Hier auf dem Weg ist es nicht das Blut, das einen verbindet, hier ist es das "Blut, das man schwitzt".
Natalie aus Kanada, eine ältere Pilgerin, lässt sich neben mir aufs Bett fallen. Sie kann nicht mehr weitergehen. Sie hat ein rotes, geschwollenes Knie und große Schmerzen. Sie muss zum Arzt. Der Herbergsvater, der gleichzeitig der Bürgermeister dieses Dorfes ist, fährt sie nach Castrojeriz, eine winzige Stadt, in der früher um 975 vier Pilgerhospitäler zu finden waren. Die Entwicklung dieses Städtchens war schon immer eng mit dem Jakobsweg verbunden. Noch heute haben die 1100 Einwohner vier Kirchen und ein Krankenhaus zur Verfügung. Dahin wird Natalie nun gebracht. Ich würde am nächsten Tag in Castrojeriz ankommen und nach ihr sehen.
Vor dem Einschlafen bete ich für Natalie und Lilly-Marleen und hoffe darauf, dass endlich die Kälte bricht und der Wind sich legt.
Die Wunderbar
Mein Wunsch erfüllt sich nicht. In meinem Büchlein steht: „8 Uhr ab Hornillos, Wind, kalt!!!“
Die Landschaft wird wieder freundlicher. Der Pfad führt aufwärts zwischen Steinwällen hindurch. Ich gehe auf dem alten gepflasterten Pilgerweg, auf dem schon tausend Jahre lang Pilger genau wie ich den gleichen Weg gingen. Immer wieder ein erhebendes Gefühl, wenn ich mir das bewusst mache. Natürlich wurde an vielen Stellen der alte Jakobsweg durch Asphalt- oder breite Staubstraßen ersetzt. Aber hier tritt mein Fuß auf Originalsteine, wie der von Millionen Pilgern vor mir. Und
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