Unheiliger Engel (German Edition)
vergaß, wo er war, was er war und jenen lasterhaften Ort. Er ve r gaß sogar sie und fühlte sich en d lich losgelöst.
Für einen Moment reiste er in Gedanken weit zurück in die Vergangenheit, flog im Geiste über wilde, u n wirkliche Steppen bis zu den Flüssen Newa und Oka und füh l te sich frei im Wind der Zeit. Er ritt wie damals mit Rurik, dem Waräger, siegreich lächelnd durch die Tore Nowgorods, sah das ihnen zujubel n de Volk und spürte die kalte Aben d luft auf d er Haut. Rurik, einst Freund und Mentor, gesto r ben in seinen Armen vor einer Ewigkeit. Er war heute nicht mehr als eine vergessene Legendengestalt in verstaubten Büchern, die nicht mehr gel e sen wurden und in Regalen ve r gammelten. Es war eine wilde und raue Zeit, nicht zivilisiert und dennoch voller pulsierender Intensität, Wahrheit und so viel L e ben. Er war ein anderer damals.
S chnell wehrte sich Sergej gegen seine Erinnerungen und ein Gefühl der Seh n sucht nach diesen ungestümen, verga n genen Zeiten. Es waren trist e und unnütze Gedanken, die keinen Sinn ergaben und ihn von seinem Vorhaben ablen k ten. Abrupt richtete er sich auf. Er lebte heute, jetzt und wahrscheinlich noch in hu n dert Jahren und vielleicht würde er niemals e r fahren, warum er nicht alterte oder sterben konnte wie alle anderen. Warum er alles und jeden unweigerlich ve r lieren musste, weil er anders war. Mit diesen Fragen hatte er sich schon viel zu oft g e quält und in diesem Moment war das alles nicht wichtig. Er redete sich erfol g reich ein, dass er sich allein nach körperlicher Befriedigung und Kurzweil in den Armen einer erotischen Frau sehnte. Langsam und provozi e rend wanderten seine Hä n de an ihrem Rücken hinab und er fühlte die intensive Wärme ihrer Haut unter seinen Fi n gern. Auf diese Weise bot er auch den drei Voyeuren Genuss, die ihr Tun aus einer Ecke der Lounge noch immer beobacht e ten. Natürlich trug das Luder weder Slip noch BH und er schätzte diese ungenierte Freizügigkeit sowie schnelle Verfügbarkeit einer Frau, die fassadenlos, ohne aufgesetzte Pse u domoral und Ethik war. Aufreizende Dessous und ein gekonnter Hauch von Nichts hä t ten ihn allerdings stärker gereizt, denn dezent Verbor genes wirkt e geheimnisvo l ler und verführer i scher.
„Wir sollten gehen“, sagte er .
„Wohin?“
„Lass dich überraschen . “
E r reichte ihr eine Hand, die sie ergriff. Sie folgte ihm auf die regennasse Str a ße, seine Hand ruhte besitzergreifend auf ihrem runden, festen Po, wä h rend der massige Türsteher ein wartendes Taxi heranwinkte. Sergej steckte ihm zwanzig Euro zu , schob die Kleine auf den Rücksitz und setzte sich n e ben sie.
„Wohin soll es gehen?“ D er Taxifahrer war jung, schlecht rasiert und blic k te sie fragend an.
„Wo wohnst du?“ , fragte Sergej.
Die Frau kicherte.
*
*
Elaine hatte gebadet, ihren Körper mit duftender Lotion ei n gecremt und es sich nun eingehüllt in einen flauschigen B a demantel und mit einem Glas Rotwein vor dem Kamin gemütlich gemacht. Ihr kleines Wellnessprogramm konnte a l lerdings die innere Kälte und das Grauen nicht vertreiben.
An diesem Tag waren sie und ihre Kollegen in die Wo h nung einer jungen Frau gerufen worden, die ähnlich wie die zwei Opfer vor zwei Wochen auf rituelle Art getötet worden war. Das Herz hatte man allerdings nicht entfernt und im Gege n satz zu jenem Fall hatte man verwertbarere Hinweise und Spuren am Ort des Gesch e hens und am Opfer finden können, die sie hoffentlich in den nächsten Tagen zu einem Verdächtigen führen würden. Alles in allem war der Fall rätse l haft und verworren und sie hatte sich einige Akten mitg e nommen, die sie noch studieren woll te, konnte sich aber nicht recht aufraffen. Daher war sie dankbar, als ein Geräusch aus der Halle die Rüc k kehr ihres Lebensgefährten Leo Stahnke ankündigte, mit dem sie schon viele Jahre b e freundet und seit einem Jahr liiert war. A ber es war eher die Liebe zu einem guten Freund als eine, die von Bege h ren und Leidenschaft geprägt war. Er hatte ihr in einer schw e ren Zeit zur Seite gestanden und sie hatte sich an ihm anlehnen und aufrichten kö n nen.
„Elaine, wie schön dich hier zu sehen, ich nahm an, du bleibst in der Stadt . “ L ächelnd trat er in das kleine und behaglich eingerichtete Kaminzi m mer und hauchte einen Kuss auf ihre Wange.
„Hallo Leo . “
„Du siehst blass aus . “ Leo blickte auf Elaine .
I n dem übergroßen Bademantel und mit
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