Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
Vom Netzwerk:
was er gesagt hat? Und wie er’s gesagt hat?« Äffte ihn nach: ›Eure Mutter und ich sind zu dem Entschluss gekommen …‹ Schnaubte verächtlich. » Er hat den Entschluss gefasst. Mom hat nichts entschieden. Er will diese Frau, und er ist ausgezogen, damit er mit ihr beisammen sein kann. Was Mom dazu meint, was wir meinen – das ist ihm ganz egal.«
    Äffte ihn wieder nach. »›Was zwischen eurer Mutter und mir geschehen ist, hat nichts mit euch zu tun.‹« Warf sich aufs Bett. »So ein Blödsinn. Wer soll denn sonst etwas damit zu tun haben? Irgendwelche anderen Leute? Die beiden haben uns in die Welt gesetzt, oder vielleicht nicht? Und jetzt sollen wir auf einmal nichts mehr damit zu tun haben, was mit ihnen geschieht? Das hat sehr wohl mit uns zu tun. Was mit ihnen geschieht, geschieht auch mit uns. Hat Auswirkungen auf uns. Verändert unser Leben.«
    Buddy war immer noch fassungslos, kam sich dumm vor, wusste nichts zu sagen. »Wer ist diese Frau, Addy?«
    »Zunächst mal ist sie gar keine Frau. Sie ist fast noch ein Mädchen. Ich meine, Mom ist eine Frau. Diese … diese Person dürfte Mitte zwanzig sein.« Sie setzte sich im Bett auf, schnitt eine Grimasse, wurde rot. »Okay, ich geb’s nicht gern zu, aber ich weiß von dieser Frau, diesem Mädchen oder wem auch immer, weil ich gelauscht habe. Ich habe zugehört, wie Mom und Dad eines Nachts gestritten haben. Ich kam mir wie der letzte Dreck vor, wie ich da vor ihrem Schlafzimmer stand, mit dem Ohr praktisch schon an der Tür. Sie heißt Fay und arbeitet als Sekretärin in seinem Büro. Weißt du noch, wie er bis abends spät gearbeitet hat? Damals hat es angefangen.« Wieder ahmte sie ihren Vater nach, wiederholte auf gehässige Weise seine Worte: » ›Wir hatten nicht vor, uns zu verlieben.‹ So etwas erzählt er Mom, stell dir das nur mal vor! Erzählt Mom, dass er sich in eine andere verliebt hat. Dieser Dreckskerl …« Sie hüllte sich in eine Decke, als suchte sie darunter Schutz.
    Später klopfte seine Mutter bei ihm an.
    »Es tut mir leid«, sagte sie und blieb in der Tür stehen, als wüsste sie nicht, ob sie willkommen war.
    »Du kannst ja nichts dafür«, sagte er. Hinterher war er sich jedoch gar nicht mehr so sicher, wessen Schuld es war.
    »Mir tut auch die Art und Weise leid, wie er es dir und Addy gesagt hat. Und dafür kann ich etwas. Ich wollte dabei sein, wenn er euch informiert. Wollte ihn hören, wie er es sagt. Das war vielleicht grausam, aber ich wollte es trotzdem so.«
    Buddy wusste nicht, was er sagen sollte. Wollte vieles sagen, viele Fragen stellen, sagte aber nichts. Sah den Kummer im Gesicht seiner Mutter, mehr als Kummer, einen entsetzten Ausdruck, vor Schreck gelähmt, als hätte sie gerade vernommen, dass die Welt in zehn Minuten untergehen würde, mit allem, was ihr lieb und teuer war. Betroffen von diesem Blick, den verstörten Augen seiner Mutter, hatte er sich von ihr abgewandt.
    »Hör mal, Buddy, ich will für deinen Vater keine Entschuldigungen erfinden. Ich weiß nicht, was wird. Ich weiß nicht, ob das nur auf Zeit ist oder auf Dauer. Ob er darüber hinwegkommt. Ich weiß nicht einmal, ob ich ihn wiederhaben will, wenn er tatsächlich darüber hinwegkommt. Herrgott, ich weiß überhaupt nichts …«
    Noch nie zuvor hatte er seine Mutter fluchen hören. Sie war auch in ihrer Sprache immer gepflegt, elegant, kühl, genau. Aber vielleicht hatte sie auch gar nicht geflucht. Vielleicht war Herrgott der Anfang eines Gebets.
    »Er ist euer Vater, Buddy. Dein Vater und der von Addy. Ihr gehört genauso zu ihm wie zu mir, so wie ihr überhaupt zu jemandem gehören könnt. Ich möchte, dass ihr ihn liebt, Addy und du …«
    Aber wie sollen wir ihn jetzt noch lieben?, fragte sich Buddy. Er dachte an seinen Vater, stellte sich vor, wie er mit jemand anderem zusammen war, mit einer anderen Frau, und die Familie aus seinem Leben ausschloss, von ihnen wegging, sie verließ. Und er konnte nichts dagegen tun.
    Am nächsten Abend lernte er im Einkaufszentrum Harry Flowers und seine Gefolgsleute kennen.
    Und er betrank sich zum ersten Mal in seinem Leben.
    Den Weg zum Einkaufszentrum hatte er mit mehrmaligem Umsteigen zurückgelegt, mit Bussen und per Anhalter. Mit dem Trampen schlug er die Zeit zwischen zwei Bussen tot, füllte kleine Wartelücken aus. Bei Einbruch der Dämmerung kam er in der Innenstadt an und betrat das Einkaufszentrum, in dem es weder Morgengrauen noch Abenddämmerung gab, weder Nachmittag noch

Weitere Kostenlose Bücher