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Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
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einigen Minuten schließlich aufwachte, hatte er keine Erinnerung mehr daran.
    Drei Nächte hintereinander kam diese Angst. Artie schrie und schluchzte, mit vor Grauen weit aufgerissenen Augen, als sähe er so schreckliche und widerwärtige Dinge, dass sein Verstand sie nicht zu fassen vermochte. Seine Augen waren immer weit offen, als wäre er wach. Er weinte zum Steinerweichen, und dabei befand er sich in einer eigenen Welt, zu der niemand sonst Zutritt hatte; jenseits der Grenzen von Trost und Zuspruch.
    Am vierten Tag brachten sie Artie zu Dr. Allison, ihrem alten Hausarzt in Monument, der die Familie bei allen Krankheiten betreut hatte. In der kleinen Klinik, die Dr. Allison betrieb, führte er alle möglichen Untersuchungen durch. Die Ergebnisse waren negativ. Er sagte, dass Jungen vor der Pubertät manchmal solche nächtlichen Ängste durchlebten. Mit der Zeit gäbe sich das wieder.
    »Glaubt er, dass es etwas mit dem Überfall zu tun hat?«, fragte Jane hinterher ihren Vater.
    »Vermutlich«, sagte ihr Vater müde. »Dr. Allison möchte, dass wir mit ihm in Verbindung bleiben. Er meinte, mit Dingen, die man sieht, könne man leicht fertigwerden – mit Knochenbrüchen, Verstauchungen, Schnittwunden und Beulen. Oder auch mit Symptomen wie Fieber, hohem Blutdruck und solchen Sachen. Aber gegen etwas, das man nicht sieht, kann man nur schwer etwas unternehmen. Er sagte, in Fällen dieser Art sei die Zeit die beste Heilerin.«
    Dr. Allison behielt Recht. Bis zur nächsten nächtlichen Angst-Attacke vergingen einige Tage. Dann hörten sie ganz auf. »Hoffentlich für immer«, sagte ihre Mutter. Aber jeden Abend, wenn die Schlafenszeit nahte, machte sich bei Jane und ihren Eltern die Anspannung bemerkbar. Unruhig warf sich Jane im Bett hin und her. Sie hatte das Gefühl, dass ein Teil von ihnen während der Nacht wach blieb, lauschte und wartete.
    Und Artie? Er blieb Jane ein Rätsel und ihren Eltern vermutlich auch.
    Er war immer der typische kleine Bruder gewesen, ganz ähnlich den Brüdern ihrer Freundinnen. Ein Quälgeist, manchmal eine richtige Landplage. Lebte in einer privaten, geheimnisvollen Jungenwelt, heimlichtuerisch und verstohlen. Kam und ging, berührte jedoch kaum ihr Leben, außer wenn es ihm gefiel, sie mit seiner Art von Humor zu ärgern. Sein Wortschatz war voller Bezeichnungen, die körperliche Funktionen beschrieben, und wenn die Eltern nicht in Hörweite waren, ging er Jane damit auf die Nerven. Für dieselben Funktionen konnte er auch mit den entsprechenden Geräuschen aufwarten. Das trieb er so lange, bis sich Jane die Ohren zuhielt und aus dem Haus rannte.
    »Ist mit Artie alles in Ordnung?«, rief ihr Kenny Crane eines Tages über die Straße zu, als sie langsam durch die Gegend joggte.
    Sie blieb stehen. »Ich denke schon«, sagte sie, verwundert über die Besorgnis in Kennys schmalem Gesicht. Sie überquerte die Straße, ging zu ihm hin. »Warum fragst du?«
    Kenny hob seine mageren Schultern. »Weiß nicht«, sagte er. »Er hält sich nicht mehr hier draußen auf. Früher haben wir Nintendos getauscht, aber jetzt hat er kein Interesse mehr daran.«
    »Ich glaube, Artie macht gerade eine schwere Zeit durch«, sagte Jane. »Das passiert jedem mal. Aber er kommt schon wieder in Ordnung.« Damit sagte sie ihm im Grunde gar nichts, aber das lag daran, dass sie selbst nicht wusste, was Artie hatte.
    »Artie ist mein Freund«, verkündete er und reckte das Kinn. Seine Worte klangen wie eine Herausforderung.
    Nach diesem kurzen Gespräch mit Kenny Crane achtete Jane auf Arties Kommen und Gehen. Dabei stellte sie fest, dass er sich nicht mehr mit seinen verrückten Videospielen beschäftigte. Überhaupt hielt er sich nur noch selten in seinem Zimmer auf, außer zum Umziehen nach der Schule und zum Schlafen. Stattdessen trieb er sich in der Umgebung herum und verschwand manchmal über Stunden hinweg mit dem Fahrrad.
    »Wo fährst du denn immer hin?«, fragte Jane, als er von einem seiner Ausflüge zurückgekehrt war und die Fahrradkette spannte.
    »Nirgends«, sagte er.
    Das war schon immer seine Standard-Antwort gewesen, auch vor dem Überfall.
    »Du musst doch irgendwo gewesen sein«, stellte sie fest.
    Er zuckte mit den Schultern, konzentrierte sich auf die Kette.
    »Wieso spielst du eigentlich nicht mehr mit deinen Nintendos?«, fragte sie. Dann beschloss sie, etwas Süßholz zu raspeln. »Ich dachte, du wärst ein solches Ass darin.« Ass , ein Ausdruck von ihm.
    Wieder zuckte er mit

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