Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheilvolle Minuten (German Edition)

Unheilvolle Minuten (German Edition)

Titel: Unheilvolle Minuten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Cormier
Vom Netzwerk:
Herrgottsfrühe von den Bullen abgeholt worden«, sagte Marty. »Sie haben gegen vier bei ihm geklingelt und ihn zum Polizeirevier geschleppt. Er wurde wegen mutwilliger Zerstörung festgenommen – das Haus in Burnside, über das wir uns hergemacht haben …«
    Buddy ächzte, ein seltsamer, fremder Laut, den er kaum als seinen eigenen erkannte. Sah zu, wie der Bus davonrumpelte. Wir sind erledigt. Alles aus.
    »Keine Sorge«, sagte Marty und kam mit dem Gesicht so nahe an Buddy heran, dass der Pickel auf seiner Nase so groß wie ein Mondkrater wurde. »Harry singt nicht. Er ist kein Verräter.«
    Singen. Verräter. Ausdrücke aus der fünften Klasse.
    »Alle singen«, sagte Buddy, aber eigentlich meinte er damit: Ich würde singen. Ich würde die anderen nicht verpfeifen wollen, aber ich würd’s tun. Ich würde umkippen und alles gestehen.
    »Hör mal, Buddy«, sagte Marty mit einer Stimme, die tiefer war denn je – soweit das überhaupt möglich war. »Ich kenne Harry mein ganzes Leben. Wir waren schon im Kindergarten zusammen. Harry haut seine Freunde nicht in die Pfanne.«
    Aber ich bin nicht sein Freund. Ich könnte nie sein Freund sein.
    »Hast du mit ihm gesprochen?«, fragte Buddy.
    »Nur ein kurzes Telefonat. Er hat gestern Abend gegen acht angerufen, als er wieder zu Hause war. Er sagte, wir sollten uns keine Sorgen machen, er nimmt die Schuld auf sich. Er kommt heute nicht in die Schule – muss wieder zur Polizei. Zusammen mit seinem Vater. Er sagte, sein Vater will für den Schaden aufkommen. Er möchte kein Aufsehen, keine Öffentlichkeit. Damit sind wir aus dem Schneider. Harry sagte, er würde heute Abend noch mal anrufen und die Einzelheiten berichten.«
    Über die Entfernung hinweg nickte Randy mit dem Kopf, als könnte er hören, was Marty sagte.
    Ich hätte einen Drink nötig . Sogar morgens um halb neun. Dabei würde ihm kotzübel werden, wenn er so früh schon trinken würde.
    »Wie ist die Polizei auf ihn gekommen?«, fragte Buddy. Er nahm kaum wahr, dass es bereits das erste Mal geklingelt hatte, normalerweise das lauteste Klingeln der Welt, das den Schülern so in die Knochen fuhr, dass sie blitzartig zum Schultor rannten.
    »Harry sagt, ein Zeuge hat damals an dem Abend den Wagen gesehen.«
    »Was denn für ein Zeuge?«, fragte Buddy. »Und warum hat er so lange gewartet? Das ist doch schon über drei Wochen her.« Drei Wochen und fünf Tage – Buddy wusste haargenau, wann die Verwüstung stattgefunden hatte.
    »Ich weiß nicht«, sagte Marty. Er führte Buddy zum Schultor, wo Randy sie begrüßte, jetzt mit einem Lächeln im Gesicht; ein ekelhaftes Lächeln, das wie ein Verband auf einer Wunde war. »Ich weiß nur, dass Harry gesagt hat, wir brauchten uns keine Sorgen zu machen. Und er ist ein Mann, der Wort hält.«
    Zunächst mal ist er kein Mann. Er ist Schüler der Abschlussklasse. Und was weiß ich, ob er Wort hält? Buddy schaute über die Schulter nach hinten, als rechnete er damit, dass ein Polizeiwagen zur Schule gebraust kam und sofort die Sirene losging, wenn die Polizisten sie hier am Tor entdeckten.
    »Wenn der Zeuge Harry gesehen hat, hat er vermutlich auch uns gesehen«, sagte Buddy.
    Schließlich sagte auch Randy mal was: »Wir wissen nicht, ob der Zeuge ein Mann ist oder eine Frau.«
    »Lass diese Haarspaltereien, Herrgott noch mal«, sagte Marty zu Randy. »Wen kümmert’s, ob es ein Zeuge ist oder eine Zeugin?« Das war typisch für die dämlichen Streitereien, die Marty und Randy auszutragen pflegten. »Der Zeuge oder die Zeugin «, fuhr Marty fort und hob die Worte ganz besonders hervor, »hat den Wagen gesehen und sich das Kennzeichen aufgeschrieben. Die Polizei ist dadurch an Harrys Adresse gekommen.« Er sprach immer noch mit Randy, in spöttischem Tonfall, als redete er mit einem Kleinkind. »Die Polizei hat nicht angenommen, dass sein Vater den Schaden verursacht hat. Reifere Herren machen sich normalerweise keinen Spaß daraus, Häuser zu verwüsten. Daher wurde Harry festgenommen.« Er schüttelte den Kopf und schnaubte verächtlich durch die Nase.
    Die Klingel ertönte zum zweiten Mal, hallte in Buddys Kopf wider. Es blieben noch zwei Minuten, um ins Schulgebäude zu gehen, zu den Schließfächern und dann in die Stammklasse zur Anwesenheitskontrolle.
    »Nur die Ruhe, Buddy«, krächzte Marty; seine Stimme klang jetzt eher nach einem Ochsenfrosch als nach einem Nebelhorn. »Harry lässt uns nicht im Stich.«
    Das berühmte letzte Wort, dachte Buddy,

Weitere Kostenlose Bücher