Universalheilmittel
Kaufhauses Macy’s am Union Square, angeboten von einer weltbekannten Firma für pflegende und dekorative Kosmetik. Die Session kostet nur einen geringen Betrag. Es wird aber darauf gezählt, dass die Teilnehmerinnen sich hinterher mit den kostspieligen Produkten eindecken, deren professionelle Anwendung sie gerade genossen haben.
Das Ganze ist ein tolles Erlebnis. Alle beteiligten Kosmetiker(innen) und Visagist(inn)en sind von ausgesuchter Freundlichkeit und bestrebt, die Vorzüge der Kundin zu unterstreichen. Am Ende strahlt der Lady aus Deutschland ein Spiegelbild entgegen, das sich sehen lassen kann.
In der Tat kauft sie einiges. Einer der Lippenstifte ist bis heute in Gebrauch.
»Wenn das nicht alles so teuer wäre, würde ich ja gern noch mehr mitnehmen«, sagt sie bedauernd zu der jungen Kosmetikerin, die sich die meiste Zeit um sie gekümmert hat. »Aber mein finanzielles Limit ist erreicht.«
Da beugt sich die Fachfrau zu ihr und flüstert: »Eigentlich sollte ich das jetzt nicht tun, aber ich kann Ihnen was verraten. Die Hautpflegeprodukte, die ich für Sie verwendet habe, enthalten alle Aloe vera. Die gibt der Haut Feuchtigkeit und wirkt gegen Falten. Besorgen Sie sich davon im Health Food Store eine Tube. Tragen Sie nach jeder Gesichtsreinigung dieses Gel auf, lassen Sie es einziehen und nehmen Sie erst danach Ihre Tages- oder Nachtcreme. Etwas Besseres können Sie für Ihre Haut nicht tun.«
Das ist nun etwa fünfzehn Jahre her, die Anweisung wird bis heute regelmäßig befolgt, es wurde auf diese Weise mit Sicherheit eine Menge Geld gespart. Das Ergebnis sonst? Nichts Genaues weiß man nicht, aber mit Sicherheit nicht unbedingt schlecht.
Zum ersten Mal erwähnt wurde die Pflanze auf sumerischen Tontafeln, die vor rund 4000 Jahren entstanden. Schon die ägyptischen Königinnen Nofretete und Kleopatra kannten das Geheimnis, das die dicken, fleischigen Blätter der Aloepflanze bergen. Bei ihnen galt sie als Gewächs der Unsterblichkeit, auch deswegen, weil sie sich zum erfolgreichen Einbalsamieren von Verstorbenen eignete und dafür verwendet wurde. In China symbolisiert die Pflanze bis heute Unsterblichkeit.
Hippokrates setzte Aloe vera innerlich gegen Geschwüre, Magen-Darm-Beschwerden und anderes ein. Wie gesagt kannte Hildegard von Bingen die Pflanze, weil sie schon recht früh von den Arabern in Mitteleuropa eingeführt worden war. Sie nutzte sie gegen die gleichen Leiden wie Hippokrates, außerdem gegen Gelbsucht, Migräne und Zahnfäule.
Christoph Columbus (1451–1506) bezeichnete sie als »Arzt im Topf« und gab sie seinen Seeleuten unter anderem innerlich gegen Durchfall und äußerlich gegen Sonnenbrand. In Kenntnis gesetzt von den Heilkräften hatten ihn die südamerikanischen Indianer. »Im Topf« übrigens deshalb, weil Aloe-vera-Pflanzen auf den langen Schiffspassagen in großen Blumentöpfen mitsegelten. So konnten sich die Reisenden bei Bedarf direkt bedienen. Die Pflanze braucht nicht sehr viel Zuwendung und Pflege, nicht mal viel Wasser. Das Besondere an ihr als Wüstenpflanze ist ja, dass sie häufig monatelang ohne Regen überleben muss. Sie ist auf die Bildung eigener Nährstoff- und Wasserspeicher angewiesen, die ihr das Überleben sichern.
Dass es sich für den Menschen um eine Art Wunderheilmittel handelt, davon zeugen Namen wie »Quelle der ewigen Jugend« bei den Mayas oder »Geschenk der Götter« noch davor bei den Sumerern. Bis heute gilt die Pflanze im arabischen Raum als Böses abwehrender Glücksbringer, daher ist sie dort an vielen Hauseingängen anzutreffen. In diesem Fall könnte man »Empfangschefin im Topf« sagen.
In den fünfziger Jahren gelang es, die Wirkstoffe des Gels auf sensible und schonende Art haltbar zu machen. Daher ist die Heilkraft der Wüstenlilie erst seit dieser Zeit auch bei uns in Mitteleuropa allgemein bekannt und wird in größerem Stil genutzt.
Das Gel aus dem Inneren der Blätter hat über 200 verschiedene Inhaltsstoffe, die auch nach vielen Jahren Forschung noch nicht alle identifiziert wurden. Klar ist aber, dass gar nicht so sehr die einzelnen Stoffe wichtig sind, sondern ihre spezielle Mischung und ihr Zusammenspiel.
Die wichtigsten Bestandteile der Flüssigkeit in den Blättern sind Acemannan, das Zellen vor schädlichen Einflüssen schützen kann, Aminosäuren, ätherisches Öl, Enzyme, Mineralstoffe und Vitamine.
➤ EXTRA: Fetthenne, die »Aloe Mitteleuropas«
Michael Straub, Leiter des Heilpflanzengartens der Firma Weleda
Weitere Kostenlose Bücher