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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
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Stockwerk.
    Sie konnte die Nacht nicht im Schlafzimmer verbringen. Aber er würde sie ja auch nicht vermissen.
    Emily ging in Rachels Zimmer. Sie roch die Fremden, die dort gewesen waren, den Schweißgeruch der Polizisten, die früher am Abend Rachels Schreibtisch und Kommode durchwühlt hatten. Eigentlich war ihr das ganze Zimmer fremd, sie hatte es praktisch nie betreten, wenn Rachel zu Hause war. Es war die persönliche Festung ihrer Tochter, und vor allem Emily durfte nicht hinein.
    Das Zimmer wirkte nahezu kahl. An den Wänden mit ihrer verblassten Schicht gelber Farbe hing kein einziges Poster. In einer Ecke türmte sich schmutzige Wäsche in einem weißen Korb und auf dem Boden daneben. Auf dem Schreibtisch lagen Schulbücher verstreut, einige aufgeschlagen, andere zugeklappt. Ein paar zerknitterte Notizzettel, die halb mit Rachels unleserlicher Schrift bedeckt waren, schauten zwischen den Seiten hervor. Nur das Bett war sorgfältig gemacht – es war der einzige Teil des Raumes, um den die Putzfrau sich kümmern durfte.
    Emily legte sich auf das Bett, zog die Knie an die Brust und schlang die Arme darum. Sie betrachtete das Foto, das liebevoll auf dem Nachttisch ihrer Tochter platziert war und Rachel in den Armen ihres Vaters zeigte. Dann streckte sie die Hand aus und drehte den Rahmen um, sodass sie es nicht mehr sehen musste.
    Aber während sie weiter auf den Nachttisch starrte, wurde ihr klar, dass sie der Vergangenheit so leicht nicht entkommen konnte. Neben dem Radiowecker stand ein rosafarbenes Stoffschwein auf den Hinterbeinen. Es trug eine schwarze Plastiksonnenbrille. Ein Andenken vom Minnesota State Fair.
    Neun Jahre waren vergangen, und es saß immer noch an Rachels Bett.
    »Tommy«, seufzte Emily.
    Tommy hob Rachel hoch, sodass sie auf seinen Schultern zu sitzen kam. Die Kleine, die jetzt alle anderen überragte, sperrte vor Begeisterung den Mund auf, als sie die vielen Menschen sah, die sich Schulter an Schulter von einer Seite der Straße zur anderen drängten. Zehntausende mussten es sein, eine verschwitzte, wogende Masse in der Hitze und Schwüle eines späten Abends Ende August.
    »Klasse, Papa!«, jubelte Rachel.
    »Hab ich’s dir nicht gesagt?«, erwiderte Tommy. »Ist das nicht irre?« Er hob Rachel hoch in die Luft, wirbelte sie herum und stellte sie dann wieder auf den Boden.
    »Gehen wir jetzt zu den großen Achterbahnen?«, rief Rachel.
    Emily musste lachen. Sie hatte die Vermutung, dass Tommy gerade das gern vermieden hätte. Den ganzen Tag über hatte sie zugeschaut, wie ihr Mann und ihre Tochter sich auf dem Jahrmarkt vergnügt hatten. Tommy hatte alles Mögliche gegessen, ganze Portionen frittierter Quarkbällchen und Popcorn in sich hineingestopft und mit riesigen Plastikbechern voll eiskaltem Bier hinuntergespült. Außerdem hatte er Hotdogs in Maisteig, Schweinekoteletts, frittierte Zwiebeln, gegrillte Maiskolben mit Butter, gebratene Ravioli und tütenweise Mini-Donuts verzehrt. Die Karussellfahrten würden das alles in seinem Magen durcheinander wirbeln wie in einem Mixer. Aber Tommy konnte Rachel einfach nichts abschlagen.
    Als sie bei den Karussells und Achterbahnen ankamen, sahen sie einen wahren Wirbelsturm aus Lichtern. Die Dunkelheit hatte den Jahrmarkt in ein Märchenland verwandelt: Unzählige Menschen kreischten durcheinander, und auf ihren Gesichtern spiegelten sich bunte Regenbogen von den Fahrgeschäften ringsum. Rachel wollte überall mitfahren. Es war ihr ganz egal, wie schnell oder wie hoch die Bahn fuhr und wie oft sie sich während der Fahrt überschlug, sodass ihr Haar senkrecht nach unten hing. Sie zerrte Tommy zum Feuerring, der sie immer wieder kopfüber und kopfunter im Kreis wirbelte, dann auf die Riesenschaukel, dann auf den Oktopus, den Riesenlooping und den Tornado. Es bereitete Emily heimliche Genugtuung zu sehen, dass Tommy grün im Gesicht war.
    Sie brauchten fast zwei Stunden, um erst eine und dann eine weitere Reihe Fahrgeschäfte abzuklappern. Dann kamen sie an einer Wurfbude vorbei, vor der ein zwielichtiger Marktschreier im Teufelskostüm stand. An seinem roten Anzug trug er einen Button mit der Aufschrift: »Willkommen in der Hölle«. Mit einem Grinsen, das zwei schokoladenbraune Schneidezähne freilegte, forderte er Tommy auf, sein Glück zu versuchen.
    »Treffen Sie drei Teller, und holen Sie sich den großen Preis«, sagte er.
    »Was ist denn der große Preis?«, fragte Rachel.
    Der Teufel deutete auf einen riesigen Plüschbären, dick

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