Unmoralisch
Du bist überhaupt nicht da.«
»Dieser Fall …«, setzte Stride an.
»Der Fall ist mir so was von egal«, fiel sie ihm ins Wort. »Wenn es nicht der ist, dann ist es ein anderer.«
Stride nickte und schwieg. Sie hatte ja Recht. Und es wurde immer schlimmer. Er ertappte sich selbst dabei, dass er Ermittlungen selbst durchführte, die er eigentlich delegieren sollte. Das war auch K-2 schon aufgefallen, der ihn irgendwann direkt gefragt hatte, ob er eigentlich nach Vorwänden suche, um nicht nach Hause zu müssen. Stride hatte Nein gesagt, aber im Grunde war er sich da nicht so sicher.
»Wie geht’s Denise?«, fragte er. »Ich hab das Gefühl, wir haben uns noch gar nicht gesehen, seit du zurück bist.«
»Das Gefühl hast du, weil es so ist. Und du hast mich bisher auch nicht danach gefragt. Warum interessiert dich das überhaupt? Du weißt doch gar nichts mehr von mir.«
Andrea wartete auf eine Antwort, die Hände in die Hüften gestemmt. Als er nichts sagte, drehte sie sich um, stolzierte ins Badezimmer und warf die Tür mit einem entschlossenen Ruck hinter sich zu. Gleich darauf hörte er das Rauschen der Dusche.
Die Probleme hatten vor einem Jahr angefangen. Sie hatten zwei Jahre lang relativ friedlich zusammengelebt und alle Konflikte vermieden, indem sie nicht darüber sprachen. Aber in letzter Zeit waren die Probleme zwischen ihnen nicht mehr zu übersehen. Angefangen hatte es mit den Gesprächen über Kinder. Andrea wollte ein Kind, Stride nicht. Er fühlte sich inzwischen zu alt dafür. Er würde schon über sechzig sein, wenn das Kind aus dem Haus war.
Aber Andrea hatte nicht lockergelassen. Und achtzehn Monate nach der Hochzeit hatte er widerstrebend zugestimmt, dass sie die Pille absetzte. Sie liebten sich zu jeder Tageszeit, bis es schließlich nicht einmal mehr ansatzweise romantisch war. Aber trotz aller Mühen passierte nichts. Stride versuchte, enttäuscht zu wirken, weil sie keine Kinder bekommen konnten, aber er fürchtete, dass seine Miene seine Erleichterung doch zu deutlich offenbarte. Er wusste, was Andrea glaubte: Wenn sie ein Kind mit ihrem ersten Mann gehabt hätte, hätte er sie nicht verlassen, und ihr Leben wäre nicht in die Brüche gegangen. Jetzt hatte sie Angst, auch Stride zu verlieren, wenn sie wieder daran scheiterte. Und deshalb musste sie unbedingt schwanger werden.
Aber es sollte nicht sein.
Stride sagte ihr immer und immer wieder, dass es für ihn keine Rolle spiele, aber ihr Gesicht nahm nach und nach einen traurigen Ausdruck an, der seitdem nie ganz verschwunden war. Sie waren auf dem besten Weg, sich völlig zu entfremden.
Er hörte, wie sie die Dusche abstellte.
Die Badezimmertür ging auf, und Andrea stand nackt im Türrahmen und blickte ihn an. Er sah die Wassertropfen auf ihrer nackten Haut, die auf den Teppich tropften. Sie nagte an der Unterlippe, und im Dämmerlicht konnte er ihr Gesicht gut genug erkennen, um zu sehen, dass sie geweint hatte. Sie sahen einander lange schweigend an. Stride hatte das Gefühl, als hätte sie seine Gedanken gelesen und Angst bekommen.
»Wir müssen reden«, sagte sie.
Er hörte es in ihrer Stimme und wusste selbst, dass es unvermeidlich war. Es ging um Scheidung. Die Frage war nur noch, wer von ihnen das Wort zuerst aussprechen würde.
»Es tut mir Leid«, sagte sie leise.
»Leid tun sollte es eigentlich nur mir«, erwiderte Stride.
Er breitete die Arme aus, sie kam zu ihm, und er drückte ihren feuchten Körper an sich. Er sah die Angst in ihren müden blauen Augen, legte die Hände an ihre Wangen, und dann lächelten sie beide schwach und versuchten, den Schmerz zu lindern. Stride spürte ihren nackten Körper an seinem und reagierte automatisch darauf. Er rutschte ein wenig höher, wollte in sie eindringen, aber sie löste sich von ihm, legte sich auf den Rücken und zog ihn dabei ganz leicht an der Schulter mit sich. Er folgte ihr, legte sich auf sie und schob die Hände unter ihren Nacken. Er hätte sie gern geküsst, aber sie drehte den Kopf weg. Dann spürte er, wie sie die Beine für ihn öffnete und die Knie anzog. Sie bewegte sich nicht, hielt ihn einfach nur fest, während er in sie hinein glitt. Es war schneller, unbefriedigender Sex. Schließlich sank er in sich zusammen, und sie blieben ein paar Minuten ruhig liegen. Als er den leichten Druck ihrer Hände spürte, rollte er gehorsam von ihr herunter. Sie küsste ihn, eine leichte Berührung ihrer Lippen, dann stand sie rasch auf, bevor er sie noch einmal
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