Unmoralisch
fürchtet sie ja, dass Graeme es noch einmal versuchen wird, und geht deshalb nicht einmal mehr mit ihm zurück ins Haus.«
Maggie bog von der Hauptstraße auf die weniger befahrene Landstraße ab, die zum Flughafen führte. Sofort beschleunigte sie auf hundertsechzig Stundenkilometer, sodass das Armaturenbrett zu vibrieren begann. »Wenn das stimmt, muss aber irgendwer gewusst haben, dass Rachel noch am Leben ist. Und derjenige hat nichts gesagt, auch nicht, als ein Unschuldiger des Mordes angeklagt wurde.«
Stride nickte. »Wenn Rachel ihm erzählt hat, was bei der Scheune passiert ist, hat der Betreffende vielleicht gedacht, dass Graeme seinen gerechten Lohn bekommt.«
»Und warum hat Graeme nicht gesagt, was wirklich passiert ist?«
»Graeme und die Wahrheit sagen?« Stride lachte. »Vergiss es. Wenn er zugegeben hätte, mit dem Mädchen geschlafen zu haben, wäre er doch geliefert gewesen. Das hat Gale ihm bestimmt auch gesagt. Keiner hätte ihm seine Geschichte geglaubt. Er ist besser damit gefahren zu behaupten, dass nichts davon jemals passiert ist.«
»Gut, denken wir deine Theorie noch einen Schritt weiter. Wer ist dieser mysteriöse Freund?«
»Keine Ahnung«, sagte Stride. »Ich hatte immer den Eindruck, dass Rachel gar keine Freunde hat. Zumindest keine, denen sie wirklich vertraut hätte.«
»Bis auf Kevin.«
Stride nickte. »Ja. Bis auf Kevin. Aber kannst du dir vorstellen, dass er den Mund gehalten hätte? Ich glaube nicht, dass er so ein guter Lügner ist. Er wäre im Zeugenstand eingeknickt.«
»Gut, was ist dann mit Sally? Wir wissen, dass sie etwas zu verheimlichen hat. Wir wissen sogar, dass sie an dem Abend noch bei Rachel war. Und ich glaube nicht, dass sie besonders unglücklich darüber gewesen wäre, wenn Rachel für immer verschwindet und Kevin endgültig in Ruhe lässt.«
Stride setzte im Geiste die Puzzlestücke zusammen. »Interessante Theorie.«
»Glaubst du, wir sollten noch mal mit ihr reden?«
»Auf jeden Fall«, sagte Stride. »Rachel kann jetzt nicht mehr zurückkommen und Kevin verführen. Und Stoner ist auch aus dem Spiel. Vielleicht sagt sie uns ja diesmal die Wahrheit.«
Maggie bog nach links in die Zufahrtstraße zum Flughafen ab und folgte der kurvigen Einfahrt zum Terminal. Der Terminal selbst war kaum größer als ein Fußballfeld, ein dreieckiges Gebäude, dessen augenfälligstes Merkmal das steil abfallende, schokoladenbraune Dach war. Maggie fuhr zum hinteren Teil des Gebäudes, parkte den Wagen und legte ihre Polizeimarke auf das Armaturenbrett.
Sie gingen durch die riesigen Drehtüren in die Haupthalle, die fast völlig leer war, und fuhren mit der Rolltreppe hinauf zur oberen Ebene. Aus den Lautsprechern über ihren Köpfen drang leise Countrymusik. Stride erkannte die schmeichelnde Stimme von Vince Gill.
Sie hatten noch ein wenig Wartezeit vor sich, bis das Flugzeug da sein würde. Stride warf einen Vierteldollar in einen Flipperautomaten mit zwei Ebenen und einem Bildschirm, von dem ein Mädchen mit gewaltigem Busen und superkurzem Minirock eine Pistole auf ihn richtete und »Hit me!« quietschte. Auf der High School war Stride richtig gut im Flippern gewesen, aber anders als Fahrradfahren schien man diese Fähigkeit durchaus zu verlernen. Den ersten Ball verlor er praktisch sofort auf der abschüssigen Spielfläche. Der zweite tanzte eine Weile im oberen Teil des Automaten umher und brachte ihm ein paar tausend Punkte ein, dann rollte auch er in der Rille auf der linken Seite davon. Beim dritten Ball hatte er den alten Rhythmus zum Teil zurückgewonnen und bewegte die Hüften, während er die Flipper mit den Handballen betätigte. Maggie holte sich eine Cola aus dem Getränkeautomaten und trank, während sie ihm beim Spielen zusah.
»Glaubt die Polizistin aus Vegas, dass jemand aus Duluth Rachel umgebracht hat?«
Stride zuckte die Achseln, ohne den Blick vom Automaten abzuwenden. »Hat sie nicht gesagt. Sie hat nur gesagt, dass die Spur hierher führt.«
»Serena Dial«, sagte Maggie nachdenklich. »Sie klang nicht schlecht am Telefon. Ich wette, sie sieht wahnsinnig gut aus.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Sie kommt aus Vegas. Frauen aus Vegas sehen doch immer umwerfend aus.«
»Ich war noch nie da«, sagte Stride.
»Du solltest mehr unternehmen, Boss.«
»Na ja, ich bin im Urlaub eben lieber allein im Wald als mit Tausenden von Menschen auf Coney Island.« Er war abgelenkt und hätte fast den letzten Ball verloren, konnte das aber gerade
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