Unmoralisch
Flughafen hinauffuhren, desto wärmer wurde der Fahrtwind, der durchs offene Fenster hereinwehte.
Maggie schüttelte den Kopf. Die Ampel vor ihnen zeigte bereits Rot, aber sie überquerte hupend die Kreuzung, ohne auch nur das Tempo zu drosseln.
»Dann war sie also die ganze Zeit am Leben«, sagte sie. »Archie Gale wird außer sich sein vor Freude.«
Stride nickte ergeben. »Und Dan wird nicht sonderlich begeistert darüber sein, dass er jemanden des Mordes an einem Mädchen angeklagt hat, das gar nicht tot war. Das wird ihm den Wahlkampf nicht gerade erleichtern.«
»Hast du’s ihm schon erzählt?«, fragte Maggie.
»Nein, noch nicht. Ich habe K-2 gebeten, bis morgen zu warten. Und diese Polizistin aus Las Vegas, Serena, hat mir auch versprochen, die Sache geheim zu halten, bis wir mit Emily gesprochen haben.«
Maggie runzelte die Stirn. »Ich hoffe, Emily bricht uns nicht völlig zusammen. Stell dir mal vor, du hast deinen Mann getötet, weil er deine Tochter umgebracht hat, und dann erfährst du, dass er unschuldig war.«
Stride zuckte die Achseln. »Er hat vielleicht keinen Mord begangen. Aber ich bin immer noch überzeugt davon, dass er mit Rachel geschlafen hat.«
»Die Frage ist aber: Was ist dann mit ihr passiert?«
»Jemand muss ihr bei der Flucht geholfen haben«, sagte Stride. »Sie kann die Stadt nicht ganz allein verlassen haben, dann hätten wir irgendwo Spuren von ihr finden müssen. Vielleicht hat sie irgendwen dazu gebracht, sie nach Minneapolis zu bringen, hat sich dann verkleidet und ist dort in einen Bus gestiegen. Und die Person, die ihr geholfen hat, ist zurück nach Duluth gefahren und hat den Mund gehalten.«
»Und was ist mit den Beweisen, die wir bei der Scheune gefunden haben? Das Armband, das Blut und die Fußspuren?«
»Ich weiß, das ist ja das Problem. Wir wissen, dass Rachel an dem Freitagabend damals bei der Scheune war.« Stride knetete seine Unterlippe und blickte angestrengt aus dem Fenster, wo Fastfood-Restaurants und Getränkemärkte an ihnen vorbeisausten. »Gut, wie wär’s damit? Rachel kommt am Abend nach Hause. Graeme will ein Stelldichein, weil Emily nicht da ist. Also fährt er mit Rachel zur Scheune, sie verziehen sich nach hinten und sorgen dafür, dass die Fenster ordentlich beschlagen.«
Maggie runzelte wieder die Stirn. »Aber warum sollten sie zur Scheune fahren? Es ist doch keiner zu Hause, da könnten sie es doch im Schlafzimmer treiben.«
»Wer weiß? Vielleicht war die Scheune ihr üblicher Ort. Vielleicht hat Graeme ihr auch einfach nicht gesagt, was er vorhat. Aber wie dem auch sei, er fährt mit ihr dorthin. Dann geht irgendwas schief. Rachel hat vielleicht diesmal keine Lust, aber davon will Graeme nichts hören. Oder sie treiben irgendein abseitiges Spielchen mit dem Messer, das außer Kontrolle gerät. Rachel schafft es irgendwie, aus dem Van rauszukommen, und er verfolgt sie. Sie kämpfen, dabei verliert sie das Armband, und ihr Oberteil wird zerrissen. Dann zerrt er sie wieder in den Wagen zurück.«
»Und dann?«, fragte Maggie. »Denk dran, er hat sie nicht umgebracht.«
»Das weiß ich doch. Graeme kommt plötzlich zur Besinnung. So weit ist er bisher noch nie gegangen, und das wirkt auf ihn wie eine kalte Dusche. Es macht ihm Angst. Vielleicht war es auch so wie bei Sally. Er hört ein anderes Auto kommen und macht, dass er von dort verschwindet. Er tut so, als wäre alles nur ein Missverständnis gewesen, fahrt Rachel nach Hause und sagt ihr, sie soll es einfach vergessen.«
Maggie trat heftig auf die Bremse, weil direkt vor ihnen ein Wagen abbog. Sie wechselte auf die linke Spur, brauste an dem anderen Wagen vorbei und warf dem Fahrer einen finsteren Blick zu.
»Aber als sie wieder zu Hause sind, ist Rachel halb tot vor Angst«, spekulierte sie dann weiter.
»Ich auch«, bemerkte Stride.
»Weichei. Du hast mir doch selber beigebracht, so zu fahren. Also, was passiert weiter? Rachel hat Angst, und sie hat die Nase voll.«
»Genau. Sie ruft einen Freund an und sagt: ›Bring mich hier weg.‹ Und dann verschwindet sie.«
»Okay«, sagte Maggie. »Aber warum hat sie dann nicht ihr eigenes Auto genommen? Warum hat sie nicht wenigstens ein paar Klamotten eingepackt und mitgenommen?«
Stride nagte an seiner Unterlippe und dachte nach. »Vielleicht ist sie in Panik. Sie will nicht gefunden werden, und das Auto ist zu auffällig. Sie will keine Minute länger dort bleiben, nicht mal so lange, um ein paar Sachen zu packen. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher