Unmoralisch
Kevins und Sallys Studentenwohnung befand. Die Fenster des Wagens waren offen, und die kühle Abendluft wehte mit ein paar letzten Regentropfen herein. Seit einer Stunde beobachteten sie das Haus. Stride wusste, dass sie durchaus auch bis zum nächsten Morgen hätten warten können, um mit den beiden zu reden, aber er wollte das Überraschungsmoment ausnutzen, um ihnen keine Zeit zu lassen, sich Antworten zurechtzulegen.
Außerdem hatte er so einen Grund, nicht nach Hause zu fahren, denn dort wollte er wirklich nicht sein. So grausam das auch klingen mochte, es war die Wahrheit. Er fühlte sich intensiv zu Serena hingezogen, und er wollte mit ihr zusammen sein. Nicht mit Andrea. Nicht mit seiner Frau.
Sie war nur eine Silhouette auf dem Beifahrersitz, aber er wusste, dass sie spürte, wie er sie ansah. Wie er versuchte, ihr seine Gefühle mitzuteilen, sie stumm herauszuschreien.
»Erzähl mir von Phoenix«, sagte er. »Von deiner Vergangenheit.«
Sie schüttelte den Kopf. »Darüber rede ich nicht.«
»Das weiß ich. Erzähl es mir trotzdem.«
»Warum interessierst du dich für meine Vergangenheit?«, fragte Serena. »Du kennst mich doch gar nicht.«
»Eben. Ich will dich kennen lernen.«
Serena schwieg, und Stride hörte ihre raschen, nervösen Atemzüge. »Was willst du wirklich, Jonny?«, fragte sie. »Mit mir schlafen?«
Stride wusste nicht, was er darauf sagen sollte. »Wie soll ich das beantworten?«, sagte er schließlich. »Wenn ich Nein sage, weißt du, dass ich lüge. Und wenn ich Ja sage, bin ich nur ein blöder Bulle, der eine Affäre will.«
»Damit wärst du sicher nicht allein.«
»Das ist mir klar. Und ich kann auch nur eines dazu sagen: Ich weiß, wo ich eigentlich sein sollte, zu Hause nämlich und nicht hier bei dir. Das passt nicht zu mir, so bin ich eigentlich nicht. Aber trotzdem bin ich hier.«
»Erzähl du mir doch mal was von dir«, sagte Serena und wandte sich ihm im Dunkeln zu. »Maggie sagt, deine Ehe wäre am Ende. Sie wäre schon vor drei Jahren am Ende gewesen. Stimmt das?«
Er war es leid, sich selbst etwas vorzumachen. »Ja, das stimmt.«
»Lüg mich nicht an, Jonny«, warnte Serena. »Ich bin keine schnelle Nummer, klar? Du weißt ja gar nicht, wie selten es vorkommt, dass ich überhaupt so mit einem Mann rede, vor allem nicht mit einem, den ich gerade erst kennen gelernt habe.«
»Ich glaube, das weiß ich doch. Und ich lüge nicht.«
»Erzähl mir davon. Warum seid ihr am Ende?«
Er suchte nach den richtigen Worten. »Wir tragen beide zu viele Geister mit uns herum, die nicht zur Ruhe kommen. Ihr erster Mann hat sie verlassen, und ich habe die Leerstelle nicht ausfüllen können.«
»Und was ist mit dir? Wie heißt dein Geist?«
Stride lächelte. »Cindy.«
»Hat sie dir das Herz gebrochen?«
Es war schon so viel Zeit vergangen, dass Cindy nur noch ein dumpfer Schmerz in seinem Herzen war und nicht mehr die schwärende Wunde von früher. Er erzählte Serena, wie er sie verloren hatte, und es kam ihm vor wie eine weit zurückliegende Tragödie, als wäre es gar nicht ihm passiert. Serena hörte schweigend zu, dann nahm sie seine Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen.
Ein paar reglose Augenblicke lang war der Jeep wie eine Luftblase, eine eigene, in sich geschlossene kleine Welt.
»Willst du meine Geschichte wirklich hören?«, fragte Serena.
»Ja.«
Er sah, wie sie ihre Angst und ihr Misstrauen niederkämpfte.
»Als ich fünfzehn war und noch in Phoenix wohnte, hat meine Mutter angefangen, Drogen zu nehmen«, begann sie leise. »Sie wurde abhängig. Sie hat unser ganzes Geld verpulvert, wir haben unser Haus verloren, und mein Vater hat uns verlassen. Mich hat er verlassen.«
Ihre Stimme hatte einen ausdruckslosen Ton und klang überhaupt nicht mehr nach Serena, so als hätte sie alle Gefühle aus ihren Worten getilgt. Stride spürte, dass gerade etwas Entscheidendes zwischen ihnen geschah, dass sie ihn in eine Welt einließ, in der sie bis dahin ganz allein gewesen war.
»Wir sind zu ihrem Dealer gezogen. Man könnte sagen, ich war Teil der Finanzplanungen meiner Mutter. Er hat mit mir gemacht, was er wollte, und meine Mutter hat zugeschaut. Sie war ohnehin so stoned, dass sie kaum etwas mitbekommen hat.«
Stride spürte, wie sich Gefühle in ihm regten. Er war zornig, um ihretwillen. Er wollte sie beschützen.
»Dann bin ich schwanger geworden«, fuhr Serena fort. »Ich bin allein ins Krankenhaus und habe abgetrieben. Und dann bin ich nicht
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