Unmoralisch
treffen. Robin hat mir gesagt, wo sie arbeitet, aber das hat mich nicht interessiert. Ich war ja nicht ihretwegen da. Robin und ich haben ein paar Stunden geredet, wenn man das überhaupt reden nennen kann. Er war schon viel zu sehr am Ende. Irgendwann habe ich es dann nicht mehr ausgehalten.«
»Also hast du Rachel zur Rede gestellt.«
»Nein, so war es nicht. Ich war schon auf dem Weg zum Flughafen, um nach Hause zu fliegen. Aber dann habe ich immer weiter über Rachel nachgedacht und darüber, was sie uns angetan hat. Was sie mir angetan hat. Es war gar keine bewusste Entscheidung, da hinzufahren. Aber irgendwann habe ich festgestellt, dass ich überhaupt nicht zum Flughafen fahre. Ich bin dann in diesem Klub gelandet. Ich wollte sie einfach nur sehen, wissen, wie sie aussieht. Ihr in die Augen schauen. Als sie auf die Bühne gekommen ist, habe ich ein Weilchen gebraucht, aber dann wusste ich es. Ich wusste, dass sie es ist. Sie war genau so, wie Robin gesagt hatte. Wunderschön und eiskalt.
Und dann habe ich gemerkt, dass es mir nicht reicht, sie einfach nur zu sehen. Ich wollte, dass sie mir in die Augen sieht und zugibt, was sie getan hat. Also habe ich auf dem Parkplatz gewartet und bin ihr dann gefolgt. Als ich vor ihrer Wohnung stand, hätte ich es fast doch noch gelassen. Was sagt man zu jemandem, den man gar nicht kennt, der einem aber das ganze Leben ruiniert hat? Aber dann habe ich an Robin gedacht, der da in seinem Wohnwagen vor die Hunde ging, und daran, wie unser Leben früher gewesen war, und ich bin wieder wütend geworden.«
»Hat sie dich erkannt?«, fragte Stride.
»Oh, ja. Sofort. Sie hat gelacht. Sie hat gesagt, wenn ich Robin zurückholen wollte, könnte ich ihn jetzt gern haben. Und sie wusste auch über die Ermittlungen Bescheid. Und über dich und mich. Sie fand das komisch. ›Ich habe dir einen Mann besorgt und ihm einen Mörder.‹ Das hat sie gesagt. Sie hat gesagt, wir sollten ihr dankbar sein.«
Andrea verlor langsam die Fassung.
»Ich weiß nicht, was … ich meine, nichts lief so, wie ich es mir gedacht hatte. Sie hat nichts bereut, sich für nichts geschämt. Sie hat mich einfach nur mit diesen furchtbaren grünen Augen angeschaut, als wäre ich irgendein Ungeziefer. Etwas, mit dem man spielen und es dann einfach wegwerfen kann.«
Stride sah, dass ihre Hände zitterten. Er konnte nicht einschätzen, wie weit er gehen konnte, bevor sie völlig zusammenbrach.
»Was hat sie noch gesagt?«, fragte er.
»Sie hat gelogen«, stieß Andrea hervor und ballte die Fäuste. »Sie hat die ganze Zeit gelogen.«
»Was meinst du damit?«
»Alles! Ich habe gesagt, sie hatte kein Recht, unsere Ehe zu zerstören. Robin hat mich geliebt.«
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, bis sie beinahe schlangenhaft wirkten. »Und weißt du, was sie da gesagt hat? Sie hat gesagt, Robin hätte sich so oder so von mir scheiden lassen. Er wäre nur deshalb so leicht zu verführen gewesen, weil er mit mir im Bett kaum noch einen hochbekommen hat. Mit mir zu schlafen, das wäre gewesen, als würde man eine Leiche bumsen. Und darum hätte ich auch nicht schwanger werden können, weil zwischen meinen Beinen alles tot wäre.«
»Scheiße«, murmelte Stride vor sich hin.
»Und da ist es mir klar geworden. Sie hat gar nicht gelogen. Es war die Wahrheit. Ich hatte mir die ganze Zeit selbst etwas vorgelogen. Über Robin. Über mich. Also stand ich da, und dann ist diese Wut in mir hochgekommen, wie ich es noch nie erlebt habe. Sie hat mich immer nur weiter hämisch angegrinst, als käme ihr mein Leben wie ein guter Witz vor. Als ob alles, was sie mir genommen hatte, gar nichts bedeuten würde.«
»Was hast du dann getan?«, fragte Stride leise.
»Im Bücherregal stand eine Vase. Ich habe sie genommen und ausgeholt. Ich wollte, dass sie zerbricht. Ich wollte, dass die Scherben durch die ganze Wohnung fliegen. Aber dann habe ich sie nicht losgelassen. Ich habe die Vase einfach fest gehalten, und sie hat etwas getroffen. Ich hatte die Augen zugemacht, ich wusste gar nicht, was ich getan hatte. Aber ich hatte etwas getroffen, und dann war da dieses schwere Plumpsen, als wäre etwas umgefallen …«
Stride hatte solche Geschichten schon viel zu oft gehört, von Leuten, die er festgenommen hatte, von Angeklagten, die versuchten, ein mildes Urteil zu erwirken. Er ließ sich längst nicht mehr davon erweichen. Aber diesmal war es anders.
»… und sie war tot. Ich konnte es gar nicht glauben, aber sie war tot.
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