Unmoralisch
schreibt dir einen Brief und reibt dir seine Affäre wie Glasscherben ins Fleisch. Und was tust du? Du fährst sofort zu ihm. Du kommst in Vegas zu ihm gekrochen und versuchst, ihn zurückzubekommen.«
Jetzt sah er Angst in ihrem Blick.
»Ich bin nicht …«, fing sie an.
Stride fiel ihr ins Wort. »Jetzt beleidige mich nicht auch noch. Hältst du mich eigentlich für bescheuert? Erst flehst du mich an, nicht dorthin zu fahren. Und als ich dort ankomme, finde ich deinen Exmann vor, der versucht, sich in einem Wohnwagen zu Tode zu saufen. An wen muss ich da wohl als Erstes denken, Andrea? An dich. Also bin ich zum Flughafen gefahren. Ich habe die Kreditkartenfirma angerufen. Ich weiß, dass du letztes Wochenende von Miami aus nach Las Vegas geflogen bist.«
»Es ist nicht so, wie du denkst«, sagte Andrea. »Ich wollte ihn gar nicht zurück. Aber ich hatte Angst. In seinem Brief hat er von Selbstmord gesprochen. Ich konnte doch nicht einfach hier bleiben und nichts unternehmen. Deshalb bin ich hingefahren … weil ich ihm das ausreden wollte.«
»Das interessiert mich nicht«, unterbrach er sie. »Hier geht es nicht um dich und Robin.«
In der plötzlichen Stille, die sich zwischen sie legte, schwang tiefe Besorgnis mit.
»Ich will wissen, was zwischen dir und Rachel vorgefallen ist«, sagte Stride.
Er musterte sie wie eine Tatverdächtige, hielt nach jeder noch so kleinen Bewegung in ihrem Gesicht Ausschau. Und er sah genau das, was er erwartet hatte.
Schuldgefühle.
»Ich will wissen, warum du sie umgebracht hast.«
Andrea blieb gefasst. »Sollte ich mir einen Anwalt nehmen?«
»Du glaubst also, ich werde dich verpfeifen? Du kennst mich wirklich kein bisschen. Für die Polizei in Las Vegas hat ein Gammler namens Beefy-Bob Rachel umgebracht. Der Fall ist abgeschlossen.«
»Und woher willst du dann wissen, dass es nicht so gewesen ist?«
Stride stieß einen angewiderten Seufzer aus. »Bitte, Andrea, keine Spielchen. Robin hätte sich viel eher selbst umgebracht, als dass er Rachel etwas angetan hätte. Das wissen wir beide. Und du hast Spuren hinterlassen, die man kilometerweit gegen den Wind riechen kann. Ich habe das Auto gefunden, das du gemietet hast. Im Kofferraum sind Blutspuren und Haare zurückgeblieben, nachdem du Rachels Leiche damit in die Wüste gebracht hast.«
»Ich wollte, dass er sie sieht«, gab sie bitter zurück. »Er hat sie doch so sehr gewollt. Dann sollte er sie auch haben.«
»Erzähl’s mir«, sagte Stride. »Ich muss die Wahrheit wissen.«
Andrea nickte. Nervös schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich gelöst hatte, und biss sich auf die Lippe. »Ich wollte nicht, dass das passiert.«
Sie stand auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor. Sie stellte sich dicht neben Stride, sah ihn aber nicht an. Stattdessen betrachtete sie die Fotos an der Wand. Fotos von ihr und Stride. Und von ihr und Robin. Auch nach so langer Zeit noch.
Stride roch Zigaretten. Sie hatte wieder angefangen zu rauchen.
»Dieser Brief war fast zu viel für mich, Jon«, sagte sie. »Ich wusste ja, dass wir beide Probleme haben, und ich hatte schon genug damit zu tun, mich damit auseinander zu setzen. Oder es zu verdrängen. Und dann höre ich plötzlich von Robin und erfahre, was wirklich passiert ist. Ich musste ihn einfach sehen. Ich bin wirklich nicht ihretwegen hingefahren, das musst du mir glauben. Das ist mir nicht mal in den Sinn gekommen. Ich wollte nur ihn sehen.«
Sie drehte sich zu Stride um. »Du warst ja selbst da. Du hast gesehen, in was für einem Zustand er war. Ich konnte es einfach nicht fassen. Ich konnte nicht fassen, was sie ihm angetan hatte.«
»Er hat es sich selbst angetan«, sagte Stride.
»Nein, das war nicht seine Schuld. Robin war immer schwach. Ich habe das gewusst. Und Rachel hat es auch gesehen. Sie hat ihn benutzt. Er hat mir erzählt, dass sie seine Gedichte gelesen und ihm gesagt hat, was für ein Genie er wäre. Dass sie ihm eingeredet hat, sie wären füreinander bestimmt. Das war nur eine ihrer Lügen, aber er hat es ganz ernst genommen. Als Graeme tot war, hat sie ihn rausgeworfen. Sie hat ihn einfach aus ihrem Leben entfernt. Sie brauchte ihn ja auch nicht mehr. Und damit hat sie ihm das Herz aus dem Leib gerissen. Er hat angefangen zu trinken und ist immer weiter abgestürzt. Er hatte ja nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte.«
»Erzähl mir von Rachel«, sagte Stride.
»Ja, in Ordnung. Das Verrückte war, ich hatte gar nicht vor, sie zu
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