Unmoralisch
in die Luft gereckt und an zwei Birkenstämme gestützt, die Beine wie zufällig gespreizt. Der Regen prasselte auf ihren Körper nieder, tropfte von ihren Brüsten und rann in silbrigen Bächen über den Bauch bis zu der Spalte zwischen ihren Beinen.
»Du wirst mich niemals finden«, rief sie ihm zu.
Dann drehte sie sich um und lief davon, und der Wald verschlang sie. Stride sah, wie sie davon glitt. Sie war wunderschön, und er sah ihr nach, während sie immer kleiner wurde, sich immer weiter entfernte. Dann fiel noch einmal, wie zuvor, der bedrohliche Schatten auf den Pfad und war gleich darauf wieder verschwunden.
Er hob die Pistole und rief nach Rachel: »Cindy!«
Schließlich kam er auf eine kleine Lichtung, wo der Boden sich feucht und moosig unter den Füßen anfühlte. Ein Bach bewegte sich gurgelnd auf den See zu, doch das Wasser, das über die Steine plätscherte, war leuchtend rot. Das Knacken und Rascheln zwischen den Bäumen wurde immer lauter, fast ohrenbetäubend. Es dröhnte ihm im Kopf. Der Regen ging jetzt in Strömen nieder, und er war nass bis auf die Haut.
Dann sah er Rachel auf der anderen Seite der Lichtung. »Du wirst mich niemals finden«, rief sie noch einmal.
Und während er das verschwommene Bild am anderen Ende des Baches betrachtete, erkannte er, dass es gar nicht Rachel war.
Es war Cindy. Sie streckte ihm beide Arme entgegen.
Und da war auch der Schatten wieder, er näherte sich hinter ihr. Ein Monster.
»Das schaffst du doch nie«, sagte sie.
Stride lag ausgestreckt auf dem Bett, den Kopf im Kissen vergraben. Er döste nur noch und begann langsam, seine Umgebung wieder wahrzunehmen. Von irgendwo hörte er Papier rascheln, und er roch Kaffeeduft.
Vorsichtig machte er ein Auge auf. Ein Stück entfernt saß Maggie Bei in seinem Ledersessel. Sie hatte die kurzen Beine hochgelegt, hielt einen angebissenen Cruller in der einen und einen von Strides angestoßenen Keramikbechern in der anderen Hand. Sie hatte die Vorhänge gerade so weit aufgezogen, dass hinter ihr der frühmorgendliche See sichtbar wurde.
»Deine Kaffeekanne stinkt«, teilte sie ihm mit. »Die muss mindestens zehn Jahre alt sein.«
»Fünfzehn«, sagte Stride. Er blinzelte ein paar Mal, rührte sich aber nicht. »Wie spät ist es denn?«
»Sechs Uhr morgens.«
»Immer noch Montag?«
»Ich fürchte ja.«
Stride stöhnte. Er hatte ganze anderthalb Stunden geschlafen. Und Maggie, die immer noch dieselbe Jeans und dieselbe weinrote Lederjacke trug wie am Abend zuvor, hatte offensichtlich überhaupt nicht geschlafen.
»Bin ich nackt?«, erkundigte er sich.
Maggie grinste. »Klar. Netter Hintern.«
Stride hob den Kopf vom Kissen und warf einen Blick über die Schulter. Auch er trug noch dieselben Kleider wie am Abend zuvor. »Ich hoffe, der Kaffee reicht für zwei.«
Maggie deutete auf seinen Nachttisch, wo ein klassischer Schokoladendonut auf einer Papierserviette lag. Daneben stand ein dampfender Becher Kaffee. Stride biss in den Donut und trank einen Schluck Kaffee. Er fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar, aß den Donut mit zwei weiteren Bissen auf und knöpfte sich dann das Hemd auf. Als er den Gürtel aus der Jeans zog, bemerkte er: »Jetzt wird’s unangenehm.«
»Als ob ich das nicht wüsste«, erwiderte Maggie und aß ungerührt weiter.
»Das hättest du wohl gern.«
Trotz seiner Witzeleien wusste Stride, dass er sich auf gefährlichem Terrain befand. Maggie und er waren seit sieben Jahren Partner. Sie war aus China emigriert und hatte es ihrer lautstarken Teilnahme an politischen Kundgebungen während ihres Studiums an der University of Minnesota zu verdanken, dass sie nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnte. Nachdem Stride sie direkt von der Universität eingestellt hatte, hatte sie sich als gelehrige Schülerin erwiesen. Nach nicht mal einem Jahr kannte sie das Gesetz fast besser als er, und sie hatte ihren hervorragenden Instinkt unter Beweis gestellt, weil ihr sowohl an Tatorten als auch bei Verdächtigen Dinge aufgefallen waren, die die meisten anderen Beamten übersehen hätten. Seitdem war sie Strides ständige Begleiterin.
Und je länger sie zusammenarbeiteten, desto mehr blühte Maggie auf. Sie wurde witziger, frecher und lernte, über sich selbst zu lachen. Ihr Gesicht wurde ausdrucksvoller und war keine ernste Maske mehr. Sie sprach Englisch ohne jeden Akzent und würzte ihre Ausdrucksweise mit einer gesunden Portion Sarkasmus und Kraftausdrücken.
Und sie hatte
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