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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
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diesem Laster umging, war es eine kostspielige Angelegenheit. Normalerweise kaufte er sich ein Päckchen Zigaretten, rauchte eine oder zwei davon, ärgerte sich dann über sich selbst und warf die restlichen weg. Am nächsten Tag hatte er dann erneut das Verlangen zu rauchen und kaufte sich ein neues Päckchen.
    Die High School war unübersehbar als Nichtraucherzone gekennzeichnet, doch am Ende des Hauptfoyers, zwischen zwei Reihen feuerwehrroter Spinde, sah Stride eine Tür, die zum hinteren Teil des Schulgebäudes führte. Er ging durch ein paar Türen, bis er nach draußen kam, und dann auf die andere Straßenseite, wo er ein leeres Fußballfeld sah. Er lief am Lehrerparkplatz vorbei auf ein weiteres Gebäude zu, das ein Schild als »Technikzentrum« auswies.
    An der Ecke des Gebäudes blieb er stehen und betrachtete das menschenleere Spielfeld, auf dem sich Dutzende Möwen tummelten. Er zog Zigaretten und Feuerzeug aus der Tasche und klopfte auf das Päckchen, bis sich eine Zigarette von den anderen löste. Dann versuchte er, sie hinter vorgehaltener Hand im Wind anzuzünden. Nach ein paar vergeblichen Versuchen begann die Zigarette zu glimmen, und er inhalierte genüsslich. Der Rauch, der seine Lungen füllte, war tröstlich wie ein alter Freund. Stride atmete auf und spürte, wie die Anspannung ein wenig nachließ. Dann musste er laut und heftig husten.
    »Die Dinger werden Sie noch umbringen«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Stride fühlte sich ertappt, wie ein Schüler, der beim Rauchen hinter dem Schulgebäude erwischt wird. Er drehte sich um und sah eine hübsche blonde Frau auf dem grauen Metalltreppchen stehen, das zum Hintereingang des Technikzentrums hinaufführte. Auch sie hatte eine Zigarette in der Hand. Stride lächelte sie an, als er sah, dass sie dasselbe Laster teilten.
    »Wir sterben zumindest glücklich«, sagte er, ging ein paar Schritte auf sie zu und lehnte sich ans Treppengeländer.
    »Ich frage mich immer wieder, ob ich lieber rauchen oder Alkoholikerin werden soll«, sagte die Frau.
    »Warum nicht beides?«, fragte Stride.
    »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich zögere noch, mich festzulegen.«
    Sie war Mitte dreißig, trug eine rote Fleecejacke, deren Reißverschluss sie bis zum Hals hochgezogen hatte, und eine modische schwarze Hose mit Bügelfalten. Schlank und durchtrainiert, mit kurzem, durchgestuftem Haar, sah sie aus, als wäre sie früher Cheerleader gewesen. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit einer frechen Stupsnase, und ihre Wangen waren von der Kälte gerötet.
    Außerdem kam sie Stride bekannt vor, und er sagte es ihr.
    »Wir haben uns letztes Jahr kennen gelernt«, erwiderte sie. »Ich heiße Andrea. Andrea Jantzik. Ich unterrichte hier an der Schule. Kerry McGrath war meine Schülerin. Sie haben mich befragt, als Sie in ihrem Fall ermittelt haben.«
    »War Rachel auch eine Schülerin von Ihnen?«
    Andrea schüttelte den Kopf. »Sie hatte Biologie gewählt, soweit ich weiß, nicht Chemie. Peggy, die Biolehrerin, hat mir heute Morgen noch von ihr erzählt. Ich kannte Rachel nicht.«
    Stride griff in die Tasche und zog das zerknitterte Blatt hervor, das er im Sekretariat bekommen hatte. Rachels Fächer und ihre Noten waren darauf verzeichnet. »War sie nicht vor einem Jahr in Ihrem Englischkurs?«
    »Nein, das ist Robin Jantzik. Er unterrichtet … das heißt, er hat hier Englisch unterrichtet. Aber wenn Sie mit ihm reden wollen, müssen Sie ihn leider bei seiner neuen Frau in San Francisco suchen.«
    »Ihr Mann?«, fragte Stride.
    »Früher mal, ja.«
    »Das tut mir Leid«, sagte Stride. »Hilft es, wenn ich sage, dass Männer Schweine sind?«
    Andrea lachte. »Da erzählen Sie mir nichts Neues.«
    Ihr zynisches Lächeln war wie ein Blick in den Spiegel. Stride erkannte die Mauern, die sie um sich errichtet hatte, weil er genau dasselbe getan hatte. Und wenn er genauer hinschaute, sah er es auch in ihrem Gesicht: die kleinen Fältchen um den Mund, der leere Blick in den Augen, die dickere Schicht Make-up, die die Haut frischer erscheinen lassen sollte. Der Verlust hatte seinen Tribut von ihr gefordert, genau wie von ihm.
    Er wagte einen Schuss ins Blaue. »Seitdem rauchen Sie auch wieder, oder?«
    Sie sah ihn erstaunt an. »Ist das so offensichtlich?«
    »Ich habe etwas Ähnliches erlebt«, erwiderte er. »Vor einem Jahr. Danach habe ich wieder mit dem Rauchen angefangen.«
    »Vor einem Jahr dachte ich noch, ich hätte endgültig damit aufgehört«, sagte Andrea.

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