Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Freeman
Vom Netzwerk:
einfach bequem, verheiratet zu sein. Und eine Zeit lang war das auch für Emily in Ordnung. Liebe ist nicht mehr so wichtig, wenn man sich jahrelang nur mit Mühe über Wasser gehalten hat.«
    »Eine Zeit lang?«, wiederholte Maggie.
    »Tja, Geld hilft eben doch nicht gegen Einsamkeit«, sagte Dayton.
    »Und wie kommen die beiden jetzt damit zurecht?«, fragte Stride.
    »Ich denke, das sollten Sie sie selbst fragen, Detective.«
    »Und Rachel war die ganze Zeit mittendrin in diesem Desaster?«, fragte Maggie.
    Dayton seufzte. »Die drei zusammen in diesem Haus«, sagte er, »und so wenig Zuneigung füreinander. So etwas ist furchtbar. Deshalb war ich auch überzeugt davon, dass Rachel ausgerissen ist. Es gab vieles, vor dem sie hätte weglaufen können.«
    »Hat sie jemals damit gedroht wegzulaufen?«, fragte Stride.
    »Nein, mir hat sie sich nicht anvertraut. Sie hatte wohl das Gefühl, dass ich auf Emilys Seite bin, und damit war ich der Feind.«
    »Sie können uns also nichts weiter sagen, das uns einen Hinweis auf ihr Verschwinden geben könnte? Irgendetwas, das Sie vielleicht zufällig gesehen oder gehört haben?«
    »Ich wünschte, das könnte ich«, sagte Dayton. »Aber ich fürchte nein.«
    Sie standen auf und reichten sich befangen die Hand. Stride hatte das Gefühl, dass der Pfarrer sie gern loswerden wollte. Er begleitete sie durch den Gang zurück in den kalten Eingangsbereich der Kirche. Nachdem die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, blieben Stride und Maggie auf der Treppe stehen, knöpften sich die Mäntel zu und schlangen sich die Schals um den Hals. Der Wind hatte ihre Spuren im Schnee längst verweht.
    »Und, was denkst du?«, sagte Maggie.
    Stride blinzelte in den Wintersonnenschein. »Ich denke, wir brauchen eine Pause.«

5
    Heather trank einen Schluck Tee aus der angestoßenen Porzellantasse und stellte sie dann auf einen Beistelltisch, weit genug weg, dass verschütteter Tee keinen Schaden anrichten würde. Dann sah sie vorsichtig die Abzüge durch, die sie ein paar Stunden zuvor im kalten Keller entwickelt hatte.
    Der erste Schnee brachte immer ein paar wunderschöne Arbeiten mit sich. Im Wald hinter ihrem Häuschen hatte sie zwischen zwei Bäumen ein riesiges, perfektes Spinnennetz entdeckt. Eiskristalle bedeckten die transparenten Fäden und verschlangen sich ineinander wie Spitze. Sie hatte das Bild rasch eingefangen, und noch während sie fotografierte, hatte ein Windstoß das Eis gesprengt und das Spinnennetz entzweigerissen. Auf einem der Abzüge sah man, wie es riss und wie die Eisfragmente sanft auseinander brachen.
    Heather nahm ihre Halbbrille ab und legte sie neben sich. Aus der Stereoanlage ertönten die letzten Takte eines Klavierkonzerts von Brahms. Sie schloss die Augen und genoss die Klänge des Klaviers. Als das Konzert vorbei und es ringsum still war, merkte sie, wie müde sie war. Fast den ganzen Tag war sie mit ihrer Kamera durch Kälte und Schnee gestapft, bis ihre Füße ganz nass und ihre Finger taub waren. Lissa war die ganze Zeit bei ihr gewesen, doch ihr schien die Kälte nichts auszumachen. Heather hatte sie immer wieder ermahnt, sich den Schal vors Gesicht zu ziehen, und Lissa hatte ihn jedes Mal weggeschoben, sobald Heather ihr den Rücken zudrehte. Als sie nach Hause gekommen waren, hatten sie zusammen ein heißes Bad genommen, aber Heather spürte immer noch Reste der Kälte des Tages in sich. Jetzt wollte sie nur noch ihr langes Flanellnachthemd anziehen und sich unter einem Berg von Decken vergraben.
    Sie schaltete die Lampe aus und stand vom Schreibtischstuhl auf. Als sie das Deckenlicht löschte, war es ganz dunkel im Haus, doch das Wohnzimmer war immer noch erfüllt vom Widerschein des Mondlichts, das draußen auf die frische, weiße Schneedecke fiel. Heather ging auf Zehenspitzen den Flur entlang, um Lissa nicht zu wecken. Wie immer schob sie die Zimmertür der Kleinen leise ein Stückchen auf und schaute hinein. Wenn Lissa schlief, brannte ein Nachtlicht. Der Rest des Zimmers war voller Schatten. Lissa lag auf dem Bauch, das Gesicht im Kissen vergraben, und schlief tief und fest. Sie hatte die Decke so weit weggestrampelt, dass sie nur noch halb zugedeckt war.
    Heather trat ins Zimmer, um die Decke zurechtzuziehen. In der Nacht würde es noch kälter werden. Einen Augenblick lang blieb sie vor Lissas Bett stehen, betrachtete das gelöste Gesicht ihrer Tochter und lächelte über die kleinen, murmelnden Laute, die sie im Schlaf manchmal von sich gab.

Weitere Kostenlose Bücher