Unmoralisch
damit gerechnet, dass es um so etwas gehen würde. Emily war so freundlich, mir die Erlaubnis zu geben, frei über unsere Unterhaltungen zu sprechen. Rachels Einverständnis habe ich natürlich nicht, aber unter den gegebenen Umständen würde es vielleicht mehr schaden als nutzen, wenn ich Informationen zurückhalte. Ich muss allerdings vorausschicken, dass Rachel mir nur wenig erzählt hat, das uns einen Blick in ihre Seele ermöglichen würde.«
»Warum fangen Sie nicht einfach von vorne an?«, schlug Stride vor.
»Ja, warum nicht … Sie wissen sicher bereits, dass die Probleme zwischen Emily und Rachel bereits aus Emilys erster Ehe mit Tommy Deese stammen. Er hat einen Keil zwischen die beiden getrieben, und nach seinem Tod ist alles noch viel schlimmer geworden. Ich habe das natürlich erst später erfahren. Ich kannte sie zwar aus der Kirche, aber keine von beiden hat je versucht, mich ins Vertrauen zu ziehen.«
»Haben sie hier in der Nähe gewohnt?«, fragte Maggie.
»Ja. Gleich hier in der Straße.«
»Hatte Rachel viele Freunde?«, fragte Stride.
Dayton trommelte mit den Fingern auf das Beistelltischchen. »Keine richtig engen Freunde. Bis auf Kevin vielleicht. Er war immer sehr verliebt in sie, aber das wurde nicht erwidert.«
»Ist das der Kevin, der am bewussten letzten Abend mit ihr im Canal Park war?«, fragte Maggie.
»Oh, ja. Kevin und seine Eltern wohnen immer noch hier. Ich bin sicher, er wird eines Tages Anwalt, vielleicht sogar Politiker. Er ist ein echter Karrieretyp. Ich fürchte, seine einzige Schwäche ist Rachel. Man hatte immer den Eindruck, dass er sie beschützen will. Aber Rachel wollte sich nicht beschützen lassen. Und das ist auch gut so. Diese Sally, mit der er jetzt zusammen ist, ist sehr viel besser für ihn. Das klingt jetzt sicher herzlos, verzeihen Sie. Ich möchte wirklich nicht schlecht von Rachel sprechen, aber für Kevin wäre sie nicht die Richtige gewesen.«
Maggie nickte. »Sie glauben wahrscheinlich nicht, dass Kevin etwas mit Rachels Verschwinden zu tun haben könnte?«
Daytons Miene verriet ehrliches Entsetzen. »Kevin? Aber nein. Ganz unmöglich.«
»Reden wir über Emily und Graeme«, sagte Stride. »Hatte Rachel eine Abneigung gegen Graeme? Hat sie es Emily übel genommen, dass sie einen neuen Mann ins Haus gebracht hat?«
»Das sollte man eigentlich erwarten, nicht wahr?«, sagte Dayton. »Aber offenbar war es ganz anders. Sie sind sehr gut miteinander ausgekommen, zumindest eine Zeit lang. Ich glaube, Rachel hat gehofft, sie könnte Graeme als Druckmittel gegen Emily einsetzen, so wie Tommy es früher mit ihr gemacht hat. Ich denke, sie wollte Graeme und Emily gegeneinander aufhetzen. Und vielleicht ist ihr das ja auch gelungen. Es ist keine besonders glückliche Ehe.«
»Inwiefern?«, fragte Maggie. »Streiten sie sich? Betrügen sie sich?«
Dayton hob die Hand. »Entschuldigen Sie, aber ich habe eine trockene Kehle. Ich brauche ein Glas Wasser. Ich kann ja meine Predigt morgen nicht halten, wenn ich heiser bin! Darf ich Ihnen auch etwas anbieten?«
Stride und Maggie schüttelten den Kopf. Dayton lächelte, entschuldigte sich noch einmal und ging ins Nebenzimmer. Sie hörten seine Schritte auf dem Holzboden und dann das Rauschen in den Leitungen, als er den Wasserhahn aufdrehte. Kurze Zeit später kam er mit einem roten Plastikbecher in der Hand zurück.
»Entschuldigen Sie«, sagte er und setzte sich wieder hin. Er wirkte gelöster als zuvor. »Wo waren wir?«
»Emily und Graeme«, sagte Maggie.
»Ja, richtig. Nun, ich glaube nicht, dass es in dieser Ehe gewaltsame Eskalationen gegeben hat. Das Gegenteil ist wohl der Fall. Keine Leidenschaft. Sie scheinen keine allzu große Liebe füreinander zu empfinden.«
»Aber warum haben sie dann überhaupt geheiratet?«, fragte Stride.
Dayton runzelte die Stirn. »Graeme ist beruflich sehr erfolgreich. Vielleicht haben die vielen Dollarzeichen auf seinem Gehaltszettel Emily ein wenig geblendet. Wenn man ständig arbeiten muss, um sich irgendwie durchzuschlagen, kann ein Leben, in dem man sehr viel weniger zu tun hat, doch sehr verführerisch wirken. Vielleicht haben ihre Träume ihr ein wenig den Blick für die Wirklichkeit verstellt.«
»Und was ist mit Graeme?«, fragte Maggie. »Ich meine das jetzt nicht böse, aber Emily scheint mir kein großer Fang für einen erfolgreichen Banker zu sein.«
Dayton musterte sie mit einem eigenartigen Lächeln, als würde er sich über die Frage amüsieren.
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