Unmoralisch
wie kleine weiße Hügel aus, die man auf den schmalen Fahrbahnen umrunden musste.
Die Kirche, der Dayton als Pfarrer vorstand, war wie ein Brückenkopf, von dem aus die Anwohner erbittert gegen Verbrechen und Zerstörung ankämpften. Der Kirchhof wirkte peinlichst gepflegt, und auf der breiten Rasenfläche standen sorgfältig gestutzte, kleine Büsche. Außerdem gab es eine Schaukel und einen Spielplatz mit Klettergerüsten aus Zedernholz für die Kinder. Die Kirche selbst war frisch verputzt, und die schmalen, hohen Fenster waren leuchtend rot umrahmt.
Strides Jeep hinterließ die erste Reifenspur auf dem Gelände, als sie bis zur Kirche vorfuhren und dort hielten. Sie stiegen aus dem Wagen, hinaus in die frische, kalte Luft, und stapften durch den Schnee zur Kirchentür. Im Eingangsbereich war es kühl, alle Wärme stieg zu den hohen Decken auf. Instinktiv schlangen sie die Arme um den Oberkörper, um sich zu wärmen, während sie sich umsahen. Stride entdeckte ein schwarzes Brett mit Informationsblättern zu Drogenentzug, Verhinderung von Missbrauch und Eheberatung. In der Mitte hing unübersehbar eine Vermisstenmeldung mit Rachels Foto.
»Hallo?«, rief Stride.
Er hörte Geräusche irgendwo im Innern der Kirche und gleich darauf eine gedämpfte Stimme. Dann trat Dayton Tenby aus dem Dunkel eines langen Ganges und kam auf sie zu. Er trug eine dunkle Anzughose und einen grauen Wollpullover mit Lederflicken an den Ellbogen. Mit nervösem Lächeln begrüßte er sie, und seine Hand war, wie schon bei Strides erster Begegnung mit ihm, feucht von Schweiß. Auch auf seiner Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet. Er hielt einen gelben Schreibblock, der über und über mit einer kleinen, krakeligen Schrift bedeckt war, unter dem Arm und hatte sich einen Kugelschreiber hinters Ohr gesteckt.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht gleich empfangen habe«, sagte er. »Ich war gerade dabei, meine Predigt für morgen zu schreiben, deshalb bin ich ein bisschen abgelenkt. Gehen wir doch nach hinten, da ist es wärmer.«
Er ging den Flur entlang voraus. Sein Büro in der Kirche war klein und quadratisch und mit dunklen Holzmöbeln ausgestattet. Über dem schlichten Kamin hing ein großes Ölgemälde, das Christus zeigte. Im Kamin flackerte ein Feuer und füllte den Raum mit wohliger Wärme. Dayton setzte sich in einen grünen Polstersessel am Feuer und legte den Schreibblock auf den zierlichen Beistelltisch neben ihm. Mit der Hand deutete er auf ein antikes, unbequem aussehendes Sofa. Stride und Maggie setzten sich. Maggie passte genau auf das Sofa, aber Stride hatte bei seiner Körpergröße Schwierigkeiten, eine bequeme Haltung zu finden.
»Als wir uns zum ersten Mal gesprochen haben, sagten Sie, Sie glauben, dass Rachel fortgelaufen ist«, begann Stride. »Glauben Sie das immer noch?«
Dayton spitzte die Lippen. »Selbst für Rachels Verhältnisse ist das ein sehr langer Zeitraum, um jemandem einen Schrecken einzujagen. Den Stoners gegenüber würde ich das natürlich niemals äußern, aber ich habe langsam die Befürchtung, dass es vielleicht doch nicht nur ein kindisches Spielchen gewesen ist.«
»Aber Sie haben keine Vorstellung, was sonst passiert sein könnte?«, fragte Maggie.
»Nein. Glauben Sie, sie ist entführt worden?«
»Wir können bis jetzt nichts ausschließen«, erwiderte Stride. »Im Augenblick versuchen wir, etwas mehr über Rachels Vergangenheit und ihre persönlichen Beziehungen zu erfahren. Wir versuchen, uns ein Bild von ihr zu machen. Und da Sie Rachel und ihre Familie schon so lange kennen, dachten wir, Sie könnten uns vielleicht dabei helfen.«
Dayton nickte. »Ich verstehe.«
»Sie klingen nicht sehr bereitwillig«, sagte Maggie.
Dayton faltete die Hände im Schoß. »Mit Bereitwilligkeit hat das nichts zu tun, Detective. Ich überlege nur, was ich Ihnen erzählen darf und was nicht. Es gibt Dinge, die ich in meiner Funktion als geistlicher Berater erfahren habe, und die muss ich natürlich vertraulich behandeln. Das werden Sie sicher einsehen.«
»Sie haben Rachel also beraten?«, fragte Stride.
»Für kurze Zeit. Das ist schon lange her. Ich habe sehr viel mehr mit Emily gearbeitet. Wir versuchen schon seit vielen Jahren, die Probleme mit Rachel gemeinsam zu bewältigen. Bisher leider ohne großen Erfolg.«
»Uns hilft alles, was Sie uns sagen können«, versicherte Maggie.
»Ich habe Emily sogar von dieser Unterredung erzählt«, sagte Dayton. »Wissen Sie, ich hatte schon
Weitere Kostenlose Bücher