Unmoralisch
»Hast du mir denn eine andere Wahl gelassen?«
Emily hörte ihn kaum. Aber er hatte Recht. Es war ihr Fehler gewesen, ihre Schuld. »Wahrscheinlich hätte ich doch abtreiben sollen«, sagte sie. Das hätte alles so viel einfacher gemacht: ein simpler Eingriff, der das neue Leben in ihr beseitigt hätte. Es wäre so viel leichter gewesen, als das Baby später zu verlieren, inmitten ganzer Ströme von Blut.
»Das hätte alles wieder in Ordnung gebracht, stimmt’s, Graeme? Du hättest mich nicht heiraten müssen. Du hättest überhaupt niemanden heiraten müssen. Du hättest einfach friedlich weiter mit deinen Tabellenkalkulationen herumspielen und deine Telefonsex-Freundinnen anrufen können.«
Graeme warf ihr einen scharfen Blick zu. Offenbar hatte sie diesmal einen Nerv getroffen. Er starrte sie an, sah sogar ein bisschen ängstlich aus. Gut so.
»Überrascht es dich, dass ich das weiß? Irgendwann bin ich dir mal nach unten gefolgt und habe dich hier gesehen, auf den Knien, während du an deinem Schwanz herumgespielt und in den Telefonhörer gestöhnt hast. Ich habe gehört, wie du der Frau gesagt hast, dass du sie ficken willst. So was ist viel besser, oder? Dann musst du wenigstens nicht so tun, als würde es dir Spaß machen, mich zu ficken.«
Emily starrte zur Decke hinauf. »Euch allen wäre es ohne mich viel besser gegangen. Dir und Tommy und Rachel. Ich habe doch nur euer aller Leben zerstört. Ich wünschte, ich hätte abgetrieben. Ich wünschte, ich hätte es auch beim ersten Mal getan.«
Sie fiel auf die Knie und sank dann vornüber auf den weißen flauschigen Teppich. Immer und immer wieder schlug sie mit den Fäusten auf den Boden, dann rollte sie sich auf den Rücken, zog die Knie an die Brust und schlang die Arme darum. »Gott wird schon gewusst haben, was er tat. Er wollte nicht, dass ich noch ein Kind bekomme. Ich habe ja schon das erste total versaut.«
Sie merkte, dass Graeme neben ihr kniete. Er hatte eine besorgte Miene aufgesetzt, die ebenso falsch war wie ihr ganzes gemeinsames Leben.
»Fass mich nicht an. Fass mich ja nicht an! Mach mir nichts vor, hörst du? Mach mir nichts vor!«
»Emily, warum gehst du nicht nach oben? Nimm eine Tablette, dann kannst du besser schlafen. Das war ein schrecklicher Tag für dich. Du weißt nicht mehr, was du tust.«
Emily blieb auf dem Teppich liegen. Ihr Zorn war verraucht, und mit ihm ihre ganze Energie. Alles war verraucht. Sie hatten gewonnen, alle hatten sie gewonnen. Tommy und Rachel und jetzt auch noch Graeme. Sie hatte lange gegen sie angekämpft, aber es war den ganzen Schmerz nicht mehr wert.
Sie sah sie vor sich, wie sie dastanden und sie ansahen. Tommy, direkt neben Graeme. Und im Türrahmen Rachel als kleines Mädchen.
Graeme kniete immer noch neben ihr. »Nimm eine Tablette«, wiederholte er. Es war kein Traum. Er hatte es wirklich gesagt.
Emily lächelte. Natürlich hatte er Recht. Graeme hatte immer Recht, so wie er immer ausgeglichen war. Es war Zeit, nach oben zu gehen, und sie wusste, dass er ihr nicht folgen würde. Es war Zeit zu schlafen. Wenn sie schlief, würde sie sie vergessen. Alle. Sie rappelte sich hoch und drängte sich an Graeme vorbei. Immer noch sah sie vor ihrem inneren Auge Tommy und Rachel. Sie hörte sie sogar lachen.
»Gut«, sagte sie. »Ihr habt gewonnen.«
Eine Tablette nehmen. Ja, genau das würde sie tun.
8
»Frieren Sie denn gar nicht?«, fragte der Barkeeper und warf über die Theke hinweg einen Blick auf Maggies nackte Beine.
Ihr schwarzer Lederrock reichte nur bis zur Mitte der Oberschenkel, und wenn sie sich setzte, musste sie die Beine fest zusammenpressen, um nicht aller Welt einen Blick auf ihr pinkfarbenes Höschen zu gewähren. Neben ihr auf dem Barhocker lag ihr roter Wintermantel, und sie trug eine ärmellose, weinrote Seidenbluse.
Und ob sie fror.
»Was trinken Sie? Einen heißen Tee?«, fragte der Barkeeper grinsend.
Maggie grinste zurück und bestellte ein großes Bier vom Fass.
Er kam mit dem Bier zurück und stellte es vor sie auf die Theke. Eisreste klebten außen am Glas und schwammen im Bier. »Sind Sie vielleicht Model oder so was?«, fragte er.
Maggie musste lachen. »Guter Spruch. Den muss ich mir merken. Ich bin Polizistin.«
»Na klar«, sagte der Barkeeper.
Maggie griff neben sich und drehte das Revers ihres roten Mantels um. Ihre Polizeimarke, die sie innen angesteckt hatte, glitzerte dem Barkeeper entgegen, und er hob ergeben die Hände. »Sie haben gewonnen. Aber
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