Unmoralisch
heißt es nicht immer, Polizisten im Dienst dürfen nicht trinken?«
»Wer sagt, dass ich im Dienst bin?«, erwiderte Maggie. Sie war durchaus noch im Dienst, aber sie brauchte jetzt ein Bier.
Sie trank langsam. Es war Montagabend, und die Bar war halb leer. Den ganzen Tag über hatte sie die gierigen Blicke von Jungs im Teenageralter ertragen müssen. Und natürlich war nichts dabei herausgekommen. Sie hatte nicht einen Jungen gefunden, der zugegeben hätte, dass er oder jemand anders hinter der berüchtigten Scheune mit Rachel geschlafen hatte. Alle hatten viel zu sagen gehabt, wenn Maggie beiläufig die Beine übereinander schlug, aber sobald sie Rachels Namen erwähnte, hatten sie keinen Mucks mehr von sich gegeben. Keiner wollte sich zur Zielscheibe polizeilicher Ermittlungen machen.
Erst jetzt bemerkte sie den Jungen, der mit nervösem Blick neben ihr stand.
»Sind Sie Miss Bei?«, fragte Kevin Lowry.
Maggie musterte ihn rasch. Er war stämmig gebaut, schwer und muskulös, und hatte sich das blonde Haar so kurz rasiert, dass er fast kahl wirkte. Er trug die Arbeitskleidung der Kellner im angrenzenden Restaurant: schwarze Jeans und ein rotes T-Shirt, das sich über seinem breiten Brustkorb spannte. Sein Blick wanderte über Maggies Körper, wie sie es von den anderen Jungs kannte, und blieb an ihren Beinen hängen.
Sie setzten sich an einen kleinen Tisch in der Ecke der Bar, wo es nicht allzu verraucht und laut war. Maggie nahm ihr Bier mit. Sie fragte Kevin, ob er auch etwas trinken wolle, aber er schüttelte nur den Kopf. Maggie entspannte sich einen Moment, dann stützte sie die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich dann zu Kevin hinüber, der ihr mit sichtlichem Unbehagen gegenübersaß.
»Ich beiße nicht«, sagte Maggie mit freundlichem Lächeln.
Kevin lächelte kurz zurück. »Wie geht es Mrs Stoner?«, fragte er leise.
»Es war sehr knapp. Aber nach dem, was ich zuletzt aus dem Krankenhaus gehört habe, wird es ihr bald wieder besser gehen.«
»Sie tut mir so Leid. Sie hat es nicht leicht gehabt.«
»Wegen Rachel?«, fragte Maggie.
Kevin zuckte die Achseln. »Auch. Zwischen Eltern und Kindern gibt es doch immer Probleme.«
»Die beiden hatten offenbar mehr Probleme als üblich«, sagte Maggie.
Der Hauch eines Lächelns. »Kann sein.«
»Was glaubst du, warum hat sie die Tabletten genommen?«
»Wahrscheinlich hat sie es einfach nicht mehr ausgehalten«, sagte Kevin.
»Was denn?«, fragte Maggie.
»Alles.«
Maggie wartete, bis Kevin wieder den Kopf hob. »Ich habe gehört, dass du viel für Rachel übrig hattest. Außerdem habe ich gehört, dass du ihr wahrscheinlich gut getan hättest, dass sie dich aber nie so recht haben wollte. Das muss frustrierend gewesen sein.«
Kevin seufzte. »Rachel war immer so eine Art Traumfrau. Ich habe nie ernsthaft geglaubt, dass daraus was werden kann.«
»Und was war an dem letzten Abend?«, fragte Maggie scharf. »Du hast uns doch erzählt, Rachel hätte mit dir rumgemacht.«
»Das hatte nichts zu bedeuten. Sie ist manchmal ein bisschen grausam.«
»Hat sie sich an dem Abend vielleicht noch mit jemand anderem getroffen? Mit einem anderen Jungen?«
»Kann sein. Rachel hatte immer viele Verabredungen. Darüber haben wir aber nie gesprochen.«
Maggie nickte. »Weißt du, das ist seltsam. Ich habe heute mit allen möglichen Jungs aus der Schule geredet, aber keiner wollte zugeben, sich mal mit Rachel getroffen zu haben.«
»Kunststück«, sagte Kevin. »Die haben alle Angst. Die wissen doch, was Sie hinter der Scheune gefunden haben.«
»Dann lügen sie also.«
»Na klar«, sagte Kevin. »Sie war bestimmt mit jedem von denen mal verabredet.«
Maggie hörte die Verbitterung in seiner Stimme. »Auch mit dir?«, fragte sie.
»Mit mir nicht, das habe ich doch schon gesagt.«
»Nur an dem einen Abend«, sagte Maggie. »Findest du das nicht komisch? Sie macht mit dir rum, und am selben Abend verschwindet sie.«
In seinen Augen lag Angst. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Du hast gesagt, Rachel hätte sich für Samstagabend mit dir verabredet. Aber als du sie abholen wolltest, war sie verschwunden.«
Kevin nickte.
»Du bist ganz sicher, dass ihr nicht am Freitag verabredet wart? Vielleicht solltest du ja später noch zu ihr kommen?«
»Nein!« Kevins Stimme wurde lauter.
»Du bist also nicht mehr bei ihr gewesen?«
»Nein. Ich bin nach Hause gegangen. Ihre Kollegen haben doch mit meinen Eltern geredet. Sie wissen, dass ich die Wahrheit
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