Unmoralisch
Rachel auch weiterhin so eng geblieben?«
Emily schüttelte den Kopf. »Nein, da hat sich etwas verändert. Vorletzten Sommer schien Rachels Beziehung zu Graeme irgendwie getrübt zu sein. Sie war kalt und gleichgültig ihm gegenüber. Ich habe nichts mitbekommen, was das ausgelöst haben könnte, keine Meinungsverschiedenheiten, keinen Streit. Sie hat ihn einfach von heute auf morgen fallen gelassen. Graeme hat versucht, sie zurückzugewinnen. Das war fast schon erbärmlich. Er hat ihr ein neues Auto geschenkt, aber das hat nichts geändert. Rachel hat Graeme seitdem etwa so behandelt, wie sie mich immer schon behandelt hat: wie einen Feind.«
»Einspruch!«, rief Gale.
»Stattgegeben«, sagte Richterin Kassel.
»Mrs Stoner, warum haben Sie der Polizei nichts von alldem erzählt, nachdem Rachel verschwunden war?«, fragte Dan.
»Ich habe versucht, mich selbst davon zu überzeugen, dass Graeme unmöglich etwas damit zu tun haben kann. Ich habe mir etwas vorgemacht und so getan, als hätten die Dinge, die ich beobachtet hatte, nichts weiter zu bedeuten. Wahrscheinlich war es mir auch einfach viel zu peinlich, dass so etwas Schreckliches direkt vor meiner Nase stattfindet, ohne dass ich es merke.«
Gale erhob erneut Einspruch, dem erneut stattgegeben wurde. Doch Dan hatte, was er brauchte. Er war bereit, die Befragung zu beenden.
»Wir wissen, dass Ihre Beziehung zu Ihrer Tochter sehr schwierig war. Haben Sie sie überhaupt noch geliebt, nach allem, was zwischen Ihnen vorgefallen ist?«
Emilys Gesicht erstrahlte voller Leidenschaft, und Stride sah zum ersten Mal etwas wie Leben in ihren müden Augen. »Aber natürlich! Ich habe sie von ganzem Herzen geliebt. Und das tue ich immer noch. Ich weiß, wie viel Schmerz sie erlitten hat, und ich hätte alles dafür getan, um zu ihr durchzudringen. Aber ich habe sie nie erreichen können, und das hat mich innerlich zerrissen. Mein Leben lang werde ich mir das am meisten vorwerfen, dass ich nicht in der Lage war, die Kluft zwischen uns zu schließen.«
Dan lächelte. »Vielen Dank, Mrs Stoner.«
8
Stride hatte damit gerechnet, dass Gale die Mutter des Opfers mit Samthandschuhen anfassen würde. Aber er hatte sich getäuscht. In Gales Verhalten lag nicht ein Hauch von Anteilnahme.
»Tatsache ist doch, Mrs Stoner, dass Ihre Beziehung zu Ihrer Tochter vollkommen gestört war«, begann er.
»Sie war nicht besonders gut. Das sagte ich ja schon.«
Gale schnaubte verächtlich. »Nicht besonders gut? Rachel hat regelmäßig erklärt, dass sie Sie hasst, oder etwa nicht?«
»Nun ja … das hat sie ein paar Mal gesagt.«
»Sie hat Sie regelmäßig als Schlampe bezeichnet«, fuhr Gale fort.
»Manchmal, ja.«
»Sie hat vorsätzlich Dinge zerstört, die Ihnen gehörten, persönliche Dinge, einfach nur zum Spaß.«
»Manchmal.«
»Sie hat also abscheuliche Dinge getan, mit dem einzigen Ziel, Sie zu verletzen?«
Emily nickte. »Ja, das stimmt.« Dann holte sie wütend zum Gegenschlag aus. »Beispielsweise hat sie mit meinem Mann geschlafen.«
»Vielleicht ist sie ja auch weggelaufen und hat in Ihrem Leben und Ihrer Ehe einen Scherbenhaufen hinterlassen?«, gab Gale zurück.
»Das hat sie nicht getan.«
Gale warf die fleischigen Arme in die Luft. »Woher wissen Sie das? War sie etwa nicht schlau und hinterhältig genug, diese ganze Sache zu inszenieren?«
»Einspruch!«, rief Dan.
Gale zuckte die Achseln. »Gut, ich ziehe die Frage zurück. Mrs Stoner, Sie haben selbst zugegeben, dass Sie Ihre angeblichen Verdachtsmomente erst geäußert haben, nachdem die Polizei Ihnen mitgeteilt hatte, Ihr Mann sei tatverdächtig. Ist das richtig?«
»Ich wollte es eben nicht wahrhaben«, sagte Emily.
»Sie wollten es nicht wahrhaben? In Wahrheit sind Sie doch gar nicht auf die Idee gekommen, dass die beiden eine Affäre haben könnten.«
»Damals nicht, nein.«
»Und jetzt denken Sie das auch nur, weil es so wunderbar zu Mr Ericksons kleiner Kriminalgeschichte zu passen scheint, stimmt’s?«
»Nein. Das ist nicht wahr.«
»Ach nein?«, fragte Gale, und seine Stimme triefte nur so von Skepsis. »Bei allem, was Sie uns bisher erzählt haben, ging es doch immer nur um Sie und Rachel, nicht wahr? Es ging niemals um Graeme. Es ging immer nur darum, dass Rachel ihre Spielchen mit Ihnen gespielt, Sie gequält und versucht hat, Sie zu verletzen.«
»Es war schwierig mit ihr«, sagte Emily.
»So schwierig, dass Sie Ihre eigene Tochter einmal verprügelt haben, nicht wahr?«
Emily
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